Die umschlossene Intervention
Die Vitrinen von Hermann Czech im Freud-Museum
Die Vitrinen, die Hermann Czech für das Freud-Museum entworfen hat, waren der Anlass, sich in der aktuellen „Vitrinenlandschaft“ Wiener Ausstellungen oder Sammlungspräsentationen umzusehen, um aus der Sicht der Vitrine Herangehensweisen und Konzepte zu verstehen und in der Folge Hermann Czech selbst zu seinen Überlegungen zu befragen. Im institutionellen Kontext von Ausstellungen ist die Vitrine zumeist Teil eines Gesamten, wenn auch weit weniger ideologisch besetzt als Architektur, Display oder Graphik. Sie ist eine Art Möbel, das sich als Objekt zugunsten seines Inhalts zurücknimmt. Oft ist sie ein Raum im Raum, dient als Schutz und hat Ähnlichkeit mit einem Schaufenster und dessen Auslegung von Waren. Als Tisch ist die Vitrine weniger „Möbel“ denn funktionaler Träger und schirmt sich weniger vom Ausstellungsraum ab, auch wenn Plexi- oder Glashauben als Schutz verwendet werden. Zwischen Tisch und Vitrine bestimmten die Vitrinen von Andras Palffy über Jahrzehnte die Ausstellungen von Generali Foundation und mumok und waren etwa in der Ausstellung Hommage à Antonin Artaud (mumok) von 2002 alleinige Gestaltungselemente.
Soweit sie die Diskurse des Ausstellens betreffen, scheint die Vitrine zwischen Theorie und Praxis verhandlungsbereit und geht Allianzen zu Wand oder Architektur ein, wenn etwa in Atelier Bauhaus Wien. Friedl Dicker und Franz Singer (Wien Museum, MUSA) die Vitrine Teil des Displays ist und einen modernistischen Kontext sucht (Gestaltung: Nikolay Ivanov & Georg Schrom). Sie funktioniert als historisches Möbel, wie die Vitrinen im MAK zeigen, behauptet sich aber wie in Michael Krebbers Vitrinenausstellung auch als institutionskritisches künstlerisches Konzept. Die Neoavantgarden, die allerdings auch die Vitrine wiederbelebt haben (Marcel Broodthaers), haben den Tisch für informellere Präsentationsformen in Fluxus und Konzeptkunst neu entdeckt. Als solcher hat er bis heute eine zentrale Rolle. In der Ausstellung Friedl Dicker-Brandeis. Werkstätten bildender Kunst im Heiligenkreuzerhof (Ausstellungsgestaltung: Robert Müller) etwa sind es ebensolche Tische, auf denen in sehr sensibler Form und vermutlich mit ebenso geringem Budget die Werke ausgelegt sind. Fallweise sind hier, je nach Bedarf, flache Glasplatten oder Hauben als Schutz nötig, die aber die Ordnung weder dominieren noch stören. Die neue Sammlungspräsentation im Josephinum hingegen artet einer anderen historischen Referenz der Vitrine nach, nämlich der Schaustellung in Kunst- und Wunderkammern. Hier sind es im Erdgeschoss große Tische, auf denen mit einzelnen, unterschiedlich großen verglasten Kästchen verschiedener Höhen nicht nur Objekte und historische Dokumente, sondern auch Ausstellungskopien aufwendig inszeniert werden (Gestaltung: Gustav Pichelmann). Texte zu den Objekten sind in aufzuziehenden Schubladen verstaut, Saaltexte werden senkrecht auf die Tische gesetzt. Der Tisch ist horizontal bestimmt, man kann sich über ihn beugen und so Nähe und Distanz regulieren. Dennoch ist die Rhetorik der Vitrine eine rahmenschaffende, die Zutritt und Verhalten vorgibt.
Eine spezielle Situation bot das neue Freud-Museum, handelt es sich doch um eine Neukonzeption des Hauses, das Czech von „authentischen Gedenkräumen“ bestimmt sah. Ausdrücklich wollte er deshalb die Wände leer belassen und sie nicht für die aktuelle Präsentation nützen. Alle Exponate sind daher in Vitrinen angeordnet und „bilden einen eigenständigen kuratorischen Zusammenhang, auf den Abfolge und Form der Vitrinen abgestimmt sind.“ Wände und Vitrinen können zwar in eine lose Beziehung treten, sind aber – wie Czech sagt – „gedanklich auseinanderzuhalten“. (1) Selten mussten Vitrinen so viel leisten. Bereits mit den Ausstellungen Wunderblock. Eine Geschichte der modernen Seele (1989) oder Wien 1938 (1988) im Wiener Rathaus hat Czech Überlegungen zur Vitrine angestellt, besonders die Vitrinen von Wien 1938 zeigen Parallelen zu jenen im Freud-Museum. Andere Ausstellungen wie Július Koller. One Man Anti Show von 2016/17 kamen im Gegensatz dazu ohne sie aus.
In diesem Zusammenhang hat Hermann Czech zu einigen Fragen Stellung bezogen:
Susanne Neuburger: Gibt es auch für Sie eine Typisierung der Vitrine, obwohl Sie, wie ich annehme, jeweils von der Aufgabenstellung ausgehen wie zuletzt im Freud-Museum? Ich denke etwa an die Ausstellung Július Koller. One Man Anti Show im mumok, wo Formate wie Sockel oder Wände abwechselnd eingesetzt wurden und im Fluss der Ausstellung quasi ineinander übergegangen sind.
Hermann Czech: „Typische” Vitrinen gibt es ja: Kasten- und Tischvitrinen, die man sich auch ausleihen kann, die aber eben nicht für alles gut geeignet sind. Sonst ist die „Typisierung” durch die ebenen Glas- oder Acrylflächen gegeben, so dass sie eben im allgemeinen prismatische durchsichtige Behälter sind. In der Ausstellung Július Koller. One Man Anti Show waren auf Grund des offenen, trivialen Konzepts keine Vitrinen.
SN: Ihre Herangehensweise für das Freud-Museum beschreiben Sie in der Publikation, die zur Eröffnung (2) erschienen ist. Sie wollten eben nicht die Wände der „authentischen Räume“ verwenden, womit der inhaltlich-kuratorische Ablauf in den Vitrinen stattfindet, die im Raum stehen. Wie ist das Verhältnis von Raum und Vitrine? Wie nimmt sie der Besucher wahr?
HC: Das Verhältnis von Raum und Vitrine im Freud-Museum ist eben eine Distanzierung: Für die allgemeinen Inhalte, die nicht zwingend mit dem Erlebnis der authentischen Räume verbunden sind, sollen nicht die — authentischen — Raumwände als Ausstellungswände „verbraucht” werden (nur in Ausnahmefällen stehen „halbe” Vitrinen an der Wand). Der Besucher nimmt das hoffentlich zumindest unbewusst wahr.
SN: Die Vitrinen können auf vier Ebenen Materialien oder Objekte zeigen, der Text ist optimal zum Lesen schräg gestellt. Ich habe nirgends so durchgedachte und verschiedene Arten von Gegenständen erfassende Vitrinen gesehen. Sie umgehen auch jegliche Anspielung auf das Schaufenster, das etwa frei nach Duchamps „Desire through the glass” durch Spiegelung des Körpers entstehen könnte. Wie sind Sie da vorgegangen und was war Ihnen wichtig?
HC: Eigentlich sind es bei den freistehenden Vitrinen fünf Ebenen oder — wenn man nicht die Anzahl, sondern nur die verschiedenen Lagen betrachtet — drei Ebenen. Die obere Vitrinenebene wurde im Laufe der Bearbeitung wegen der Objektbestände eingefügt; trotzdem sollte die Gesamthöhe nicht den horizontalen Blick in den Raum verstellen (ca. 150 cm). Die Spiegelung der Person tritt nur bei (nahezu) vertikalen Gläsern auf, ist aber meist nicht störend. Anders ist es bei Spiegelungen der Lichtquellen, die man sich schon überlegen muss.
SN: Über den Tisch muss man sich beugen, er hat eine Höhe für alle, und da kommt der Körper ins Spiel. Überdies ergibt sich die Frage der Hände. Was mit ihnen tun, wenn man nichts berühren und sich nirgends anhalten darf? Sie haben, um diesem Problem zu entgehen, dafür Handläufe installiert, die Distanz aber auch Nähe schaffen. Wie verhalten sich die Besucher:innen im Raum? Ich habe die Handläufe auch deshalb sehr angenehm empfunden, weil sie ein Moment der Konzentration bieten.
HC: Die Bequemlichkeit, sich aufstützen zu dürfen (manchmal sogar eine Fußraste) habe ich immer wieder vorgesehen (z. B. Wien 1938, 1988, oder Wunderblock. Eine Geschichte der modernen Seele, 1989). Allerdings muss das Gestell dann steifer sein als zum Beispiel gewöhnliche Tischvitrinen, damit sie nicht vibrieren oder gar wackeln (das gilt sogar für Baraufsätze wie zum Beispiel im alten MAK-Café). Deshalb im Freud-Museum die Konstruktion aus flach aneinander geschweißten diagonalen Winkelprofilen (der Eiffelturm ist so konstruiert, allerdings genietet).
1. Alle Zitate aus: Hermann Czech, Architektonisches Konzept und Ausstellungsgestaltung, in: Monika Pessler, Daniela Finzi (Hg.), Freud. Berggasse 19. Ursprungsort der Psychoanalyse. Wien 2020, S. 17, 21 f.
2. Ebenda, S. 17 ff.