Fotografische Verdikte und Ambitionen

Zu Tatjana Dannebergs Wait a Minute im Salzburger Kunstverein (08.05. bis 11.07.2021)

Ausstellungsansicht Tatjana Dannberg, Wait a Minute, Salzburger Kunstverein, Salzburg 2021
Photo credit: Andrew Phelps, © Salzburger Kunstverein

Macht es Sinn, das Misstrauen an der digitalen Bilderflut mit Walter Benjamins „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ zu untermauern wie dies der Saaltext der Ausstellung „Wait a Minute“ von Tatjana Danneberg tut? Ist es nicht eher dessen „penetrante Beliebtheit“ (Theordor W. Adorno), die den Text so verführerisch macht, als dessen eben im Saaltext angesprochene Fotokritik, die man umfangreicher und gezielter in Benjamins „Kleiner Geschichte der Photographie“ findet?(1) Benjamin gestand der „schöpferischen Photographie“ (Walter Benjamin) bekanntlich keine Berechtigung zu und sah ihre Aufgabe vor allem in ihrer Ideologiekritik. Susan Sontag und Roland Barthes sind ihm in diesem absprechendem Bild-Realität-Verhältnis gefolgt.(2) Der Weg von „Benjamins radikalen Vorstellungen“ (Saaltext) zu einer digitalen Fotografie, die mit der kapitalistischen Produktion verschmolzen ist, ist also etwas verkürzt, wie auch die Gleichsetzung von Fototheorie und Kulturpessimismus nicht schlüssig ist. Ob Danneberg sich der „digitalen Galaxie“ tatsächlich widersetzen muss, die „so groß und kalt und undurchdringlich wie unser Universum“ (Saaltext)? Im Gegenteil scheint sie gut damit umgehen zu können, wenn sie für die Bilder der Ausstellung Fotografien ausgewählt hat, die um „Ausdrucksformen zeitgenössischer Jugendkultur“ (Saaltext) kreisen. Es sind Motive, die wie Gesten wirken, eben keine „specific subjects“, wie Vanessa Joan Müller(3) anmerkt und stattdessen von einer „certain atmosphere“ spricht. Was deren fotografische Beschaffenheit betrifft, könnten sie mit Benjamins „Information und Konstruktion“ in Verbindung gebracht werden, das er als Gegensatz zu „Kunst und Mimesis“ der bürgerlichen Kultur sah (4), jedoch deutet die Suche nach der Darstellung von Entwicklungen und Zuständen auch auf ein Benjamin gegenläufiges Verständnis von Fotografie: Madeline Ferretti-Theilig beschreibt es als „Konturen eines relationalen Verständnisses von Fotografie“, das betont, „dass weder Fotografin oder Fotograf autonomer Gestalter ist, noch das Medium sie oder die Welt beherrscht, noch Fotografie schlicht die Wirklichkeit abspiegelt, sondern im Fotografieren antworten sie auf den Anspruch der Welt in einem Verhältnis der Ver-Antwortung.“ (5) Als Beispiel nennt sie Margret Bourke-White, die ihre fotografische Praxis als Mosaik auffasst, das „in bildjournalistischer Manier“ den Blick stets schärft und verbessert und zu einem Ganzen wachsen lässt, das „so groß wie das Leben selbst“ (Margret Bourke-White) ist.(6)

 

Tatjana Danneberg, In alto mare, 2021, Tintenstrahldruck, Gesso, Leim/Leinwand
Photo credit: Andrew Phelps, © Salzburger Kunstverein

Danneberg arbeitet mit eigenen analogen und anderen Fotografien, die Ausgangspunkt für einen Prozess der Transformation sind, in dem Malerei, Collage und Montage, auch Performativität eingebunden sind. Im Interview mit Attilia Fattori Franchini bezeichnet sie sich dezidiert als Malerin. Hier legt sie auch ausführlich dar, wie ihre Bilder in einem längeren Prozess entstehen und wie die Übertragung der Fotografien in Bild und Malerei vor sich geht.(7) Dass sie sich mit den prinzipiellen Fragen der Fotografie wie Authentizität oder Realitätsbezug, also auch mit der Skepsis der Fotografie, was ihre „Wahrheit“ betrifft, auseinandersetzt, wird ebenso deutlich. Ihre fotografischen Motive sind wohl aus den ursprünglichen Narrativen herausgelöst und könnten, wären sie nicht in die Bewegung der Malerei eingebunden, als Ausschnitte gelesen werden. Man könnte von einzelnen Posen sprechen, die jeweils die sechs für die Ausstellung bestimmten Wandbilder dominieren und bisweilen auch für die Bodenarbeiten gelten, die allerdings eher Text-Bild-Collagen entsprechen. Die Pose ist immer fotografisch, sie ist Bild und referiert auf eine Lebendigkeit, auf ein Performatives. Danneberg füllt sie mit Zeit, mit Bewegung, mit Malerei auf und auch dies performativ, denn es ist ihr Körper, der die Bildbahnen appliziert, was im Gegensatz zum Fotografieren körperlichen Einsatz bedeutet. Davon zeugen die die Bilder bestimmenden dunklen Spuren: breite, oft in parallelen Formationen durchquerende Bahnen, die auch Schlingen und Schleifen ausbilden und erst durch die Übertragung in Malerei die Bilder zum Sprechen bringen. Sie lassen - bedingt auch durch die Größe der Werke - an den abstrakten Expressionismus, an Lee Krasner oder Morris Louis, an eine Malerei denken, die mit Kraft und Energie vorging und linearen Bewegungen das Bild überließ.

Sie sind es auch, die die „certain atmosphere“ (Vanessa Joan Müller) ausmachen, und Spur und Aura zusammenführen, wie sie Benjamin in einem Passus im Passagen-Werk einander gegenübergestellt hat: „Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft. In der Spur werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser.“(8) Ergänzend zu Benjamin könnte man sagen: Die Spur ist indexalisch, die Aura ikonisch. Allerdings sind die breiten dunklen Bahnen trotz ihrer fortlaufenden Ausrichtung ikonisch geworden und haben die Aura ins Bild invertiert. Zwischenräume lassen Raum für Unterbrechungen und teilen, was einmal ganz war. Nähe und Ferne sind kaum unterscheidbar, insofern alles, was ursprünglich in Prozessen und Schichten entstanden ist, an die Oberfläche drängt und sich „unser bemächtigt“. Wir sind an verschiedenen Orten und in verschiedenen Zeiten mit verschiedenen Gefühlen, vor allem aber heißt es: Wait a Minute. 60 Sekunden sind nicht lange und bergen auch etwas fotografisch Technisches. Man könnte an Adornos Haupteinwand an Benjamins Text über die Reproduzierbarkeit denken, wenn er ihm schrieb: „Sie unterschätzen die Technizität der autonomen Kunst und überschätzen die der abhängigen.“(9)

1. Vgl. Bernd Stiegler, Was ist moderne Photographie? Walter Benjamins Alfred-Renger-Patzsch-Verdikt, in: http://lemagazine.jeudepaume.org/2017/09/bernd-stiegler-was-ist-moderne-photographie-walter-benjamins-renger-patzsch-verdikt-defr/

2. Vgl. Madeline Ferretti-Theilig, Fototheorie neu denken - oder die Rehabilitation von Relationalität in der Fotografie, in: https://www.researchgate.net/

3. Vanessa Joan Müller, On Involuntary Sculpture and Pricky Accidents, in: Caught Up, Tatjana Danneberg, Mousse Publishing 2021, S. 24.

4. Zit. nach Stiegler, Anm.1.

5. Wie Anm. 2, S. 411.

6. Ebenda, S. 410.

7. Time after Time, Tatjana Danneberg in Conversation with Attilia Fattori Franchini, in: Caught Up, S. 18.

8. Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, in Gesammelte Schriften, Band V, Frankfurt am Main 1982, S. 560.

9. Theodor W. Adorno an Walter Benjamin, Brief vom 18. März 1936; in: Theodor W. Adorno/Walter Benjamin: Briefwechsel 1928–1940, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1994, S. 173. Vgl. Christoph Hesse, Benjamin und Adorno über Kunst und Kulturindustrie, in: https://www.rote-ruhr-uni.com/cms/IMG/pdf/Hesse_Benjamin_Adorno.pd

Zurück
Zurück

Weltschmelz

Weiter
Weiter

Künstlerinnen der „Textilen Moderne“