Maria Bartuszová

Maria Bartuszová, Studio with Sculptures, 1987
Courtesy: Museum der Moderne, Salzburg

Museum der Moderne Salzburg, 21.07.2023 bis 07.01.2024

Mit der Ausstellung von Maria Bartuszová eröffnet der neue Direktor des Museums Harald Krejci sein von ihm konzipiertes Programm mit einem Coup. Er setzt damit ein Zeichen, das er ursprünglich für seine vorhergehende Arbeitsstätte – das Belvedere Wien – plante und das er nun als Einstandsgeschenk für sein Publikum in Salzburg mitbringt. Ein Zeichen für eine wissenschaftlich fundierte qualitätsvolle Museumsarbeit. Die Ausstellung wurde organisiert von der Tate Modern, London in Zusammenarbeit mit dem Museum der Moderne Salzburg (MdM). Kurator:innen der Ausstellung sind Harald Kejci, Marijana Schneider MdM und Juliet Bingham, International Art, Tate Modern, London.

Maria Bartuszová geboren 1936 in Prag, Tschechoslowakei, wo sie auch studierte, starb 1996 in Košice, einer ostslowakischen Industriestadt, wo sie seit 1963 lebte. Ihr Oeuvre blieb zu Lebzeiten international weitgehend unbekannt. Jedoch haben sich ihre beiden Töchter und ihre Enkelinnen um das Atelier und die Bewahrung ihres Oeuvres gekümmert und das Archive of Maria Bartuszová in Košice etabliert. Es stellt die Basis für die Verbreitung und die Kenntnis des Werks der herausragenden Künstlerin dar. Erst mit der Documenta 12 2007 von Roger M. Buergel und Ruth Noack, die erstmals eine Auswahl von Arbeiten einem breiteren internationalen Publikum vor Augen führte, erhielt sie eine größere Aufmerksamkeit. In der Zwischenzeit wurde Bartuszová nicht nur 2014/15 in einer großen Ausstellung und einem Symposium im Museum of Modern Art Warschau gewürdigt. Im vergangenen Jahr ist auch ein Catalogue Raisonné, herausgegeben von Gabriele Garlatyová, mit mehreren hervorragenden Essays erschienen, auf dem die Ausstellung in Salzburg und London nun aufbauen konnte.

Maria Bartuszová studierte 1956 bis 1961 an der Akademie für Kunst, Architektur und Design in Prag in der Klasse für Keramik und Porzellan von Otto Eckert. 1961 beendete sie ihr Studium, heiratete Juraj Bartusz und bekam ihre erste Tochter Anna. 1963 übersiedelte sie, wie bereits erwähnt, nach Košice, wo sie bis 1996 lebte und arbeitete und etliche öffentliche Aufträge für Skulpturen und Reliefs realisieren konnte. Die späteren 1960er Jahre, die Zeit des Prager Frühlings, waren geprägt von einer zunehmend freieren Gesellschaft und starken Kontakten zum Ausland. Erst 1968 mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts entstand wieder eine rigide von Abschottung gegenüber dem Westen geprägte gesellschaftliche Situation. Diese Tatsache ist wohl auch wesentlich der Grund, warum Maria Bartuszová so lange wenig internationale Beachtung fand und wir uns heute wundern, wie es sein kann, dass ein so bedeutendes Oeuvre einem breiteren Publikum verborgen blieb und nur durch die sorgfältige Hinwendung der Nachfahren überleben und nun auch entsprechend gewürdigt werden kann. Man könnte sich fragen, wie viele bedeutende künstlerische Positionen – mutmaßlich vorwiegend von Frauen – wohl verloren gehen, wenn sie nicht derart wertschätzende Bedingungen vorfinden.

Maria Bartuszová, Untitled, 1970
Courtesy: Museum der Moderne Salzburg

Die Ausstellung im Museum der Moderne Salzburg präsentiert in zwei großen Räumen mit einem Zwischengang im zweiten Obergeschoss Arbeiten von den frühen 1960er bis in die späten 1980er Jahre. Den Abschluss bildet ein Creative Space, wo sich Besucher:innen „mit dem ganzen Körper und vielen Sinnen“(1) dem Werk nähern können.

Die Ausstellung ist nicht chronologisch, sondern anhand von sieben Themenfeldern aufgebaut, das hängt auch damit zusammen, dass die Künstlerin bestimmte Themenstellungen und Verfahren immer wieder aufgriff und sich so auch keine lineare Entwicklung nachzeichnen ließe. Gezeigt werden Skulpturen und Plastiken, Reliefs, eigene Fotografien und solche von anderen Fotograf:innen in Originalabzügen und als auf den Wänden affichierten Vergrößerungen. Maria Bartuszovás bevorzugtes künstlerisches Material ist Gips. Dieser wird in späteren Werkphasen mit Stein, Holz und Schnur kombiniert, auch Metall spielt für Reliefs oder als Guss für Skulpturen eine Rolle. Es ist ein sensibles, in Bartuszovás Arbeiten lebendig wirkendes Material, in gedecktem Weiß, meist matt und empfindlich gegen Beschädigungen. Gips kann andere Materialien absorbieren oder sich mit ihnen vermischen. Die Künstlerin füllt ihn in verschiedene aufblasbare Plastik- oder Gummibehälter (Luftballons, Kondome, Plastiksäcke), die während des Härtungsprozesses geformt, gedrückt oder gequetscht und anschließend entfernt werden. Seit den 1980er Jahren, als widerstandsfähigere dickere Ballone aus Gummi für metereologische Zwecke entstanden, gießt sie den Gips auch über die aufgeblasenen Formen, welche sie anschließend zerplatzen lässt, eine Technik, die sie „pneumatischer Guss“ nennt, mit der gleichsam negative Objekte erzeugt werden. Der Bearbeitungsprozess durch die Künstlerin hinterlässt direkte körperliche Spuren, immer wieder finden sich Abdrücke ihrer Hände, das verstärkt den Eindruck des Lebendigen, Gegenwärtigen. Unweigerlich denkt man daran, dass die Künstlerin zunächst Keramik studiert hatte. Georges Didi-Huberman schreibt in Ähnlichkeit und Berührung über den Abdruck: „Denn in jedem einzelnen Abdruck verändert das Wechselspiel von Berührung und Entfernung unsere Beziehung zum Werdenden und zur Erinnerung, so dass der Akt und die Verzögerung, das Gegenwärtige und das Gewesene sich zu einer neuartigen und für das Denken verwirrenden Formation verbinden.“(2) Die gleichzeitige An- und Abwesenheit des Körpers erzeugt eine Flüchtigkeit, die Noemi Smolik so formuliert: „Ihre Objekte sind dank ihrer Ambivalenz seltsam flüchtig. Man könnte sagen, dass sie um einen Moment der Diskontinuität herumschleichen – noch hart, werden sie weich; noch widerstrebend, erweisen sie sich bereits als biegsam – ein Bruch, den die Künstlerin mit wunderbarem Geschick in Form umsetzt.“(3)

Von Beginn der 1960er Jahre an entstehen also zunächst die in aufblasbare Gummi- und Plastikformen gegossenen Arbeiten, meist kleineren Formats, oft werden mehrere Formen zu einer kombiniert, ineinandergesteckt oder aufeinandergelegt. Manchmal durchdringen die Formen einander. Nach 1979(4)) wird Gips mit natürlichen Materialien wie Holz, Stein, Ästen und Schnüren verbunden, allerdings finden sich bereits 1972 einige Arbeiten mit Holzblöcken oder -stecken, mit denen sie Quetschungen der Gipsformen erzeugt. Um 1984 griff sie vermehrt das Motiv der Eiform wieder auf, mit dem sie sich in einer früheren Werkphase beschäftigt hatte. Die Unversehrtheit der Form wird nun aufgebrochen, Perforation spielt zunehmend eine Rolle, wenn zum Beispiel ein Ast durch ein Wandrelief durchsticht (Melting Snow, 1985) oder der Innenraum der Skulpturen sich öffnet und Formen entstehen, wie diejenigen, die sie Endless Eggs nennt. Schnürungen beginnen ebenfalls 1984 (eine Arbeit mit einem dicken Gummiband ist allerdings schon 1973) und finden sich vor allem von 1985 bis 87. Hier wird der Gips im weichen Zustand geschnürt, sodass er über die Verschnürungen hinausquillt, sich darüber beult, manchmal an eingeschnürte Körperteile erinnernd.

Betritt man den ersten Ausstellungsraum, ist man überwältigt von der Dichte der Präsentation und der Intensität der künstlerischen Arbeiten: biomorphe weiße Gipsskulpturen, einige Metallstatuen, Gipsfiguren, die mit Holz oder Stein verbunden werden, von diesen gequetscht, gedrückt oder von Fäden und Leinen eingeschnürt werden, mit Geflechten in einem Wanddurchbruch aufgespannt (Untitled, 1987-88) oder auf Plexiglasscheiben befestigt. Viele Formen erinnern an weibliche und männliche Geschlechts- und andere Körperteile, die biomorphen Formen erscheinen wie natürlich gewachsen. Eine erotische Spannung schwingt im Raum. Die Arbeiten wirken sensibel und sinnlich, sie betören geradezu mit ihrer verletzlichen Schönheit. Sie liegen am Boden, hängen an der Wand, überspannen ein Fenster vom großen Raum in den Zwischenraum, stehen in Gruppen in Vitrinen oder auf niedrigen Podesten, den Präsentationen der Künstlerin zu Lebzeiten nachempfunden. Versammelt sind hier Arbeiten aller möglichen Größen und Epochen. Es beginnt mit frühen Skulpturen, 1961 bis 1967, die sich mit den Formen von Regentropfen auseinandersetzen (z.B. Rain 1963), die auf Podesten stehen oder wie Untitled (Drop), 1963/64, eine große Tropfenform, vor der Wand hängt. Diese werden einer riesigen Bodenarbeit mit weichen, runden Gipsformen (in Polyester abgegossen) von riesigen Holzbalken (ursprünglich Eisenbahnschwellen) niedergedrückt (1986-87), gegenübergestellt, eine der spätesten Arbeiten der Ausstellung und die größte Bodenarbeit der Künstlerin. Gabriela Garlantyová sieht darin eine Metapher für das Verhältnis von Mann und Frau.(5)

Maria Bartuszova, Ausstellungsansicht Museum der Moderne Salzburg 2023
© Museum der Moderne Salzburg, Foto: Rainer Iglar

Im zweiten Raum sind Maria Bartuszovás Projekte im öffentlichen Raum, einige ihrer Alureliefs und die Arbeiten, die sie für Workshops mit blinden und sehbehinderten Kindern und Jugendlichen gemacht hatte, zu sehen. 1965 trat sie der Künstlergewerkschaft bei, um sich für Aufträge bewerben zu können. Experimente mit geometrischen Formen begannen 1967. 1969 und 1970 war sie trotz ihrer sonst sehr zurückgezogenen Lebensweise aktives Mitglied im Konkretistenklub, einer Vereinigung von Kunstschaffenden, zu der auch ihr Mann gehörte, die sich konkreter Kunst verschrieben hatte. Diese Gruppe bot die Gelegenheit, ihre Arbeiten ausstellen zu können und an spannenden intellektuellen Auseinandersetzungen teilzuhaben. In diese Zeit fallen auch zahlreiche Aluminiumreliefs, mit klaren geometrischen Formen, die, so könnte man vermuten, eine Reflexion der industriellen Umgebung waren, Formen, die sie auch in späteren öffentlichen Aufträgen bisweilen wieder aufgriff. Die Aufträge für Kunst im öffentlichen Raum stellten den wesentlichsten Teil ihrer Einkünfte aus ihrer künstlerischen Tätigkeit dar. Einige dieser Arbeiten finden sich in der Ausstellung als Fotografien und in Form von Modellen. Sie reichen von großen Wandreliefs, über die Gestaltung eines Spielplatzes, einer Skulptur für das Krematorium auf dem Friedhof von Košice bis zu einem Brunnen vor einem Kaufhaus. Die Fotos zeigen nicht nur die fertigen Objekte in ihrer Umgebung, sondern auch den Produktions- und Aufstellungsprozess.

Maria Bartuszova, Ausstellungsansicht Museum der Moderne Salzburg 2023
© Museum der Moderne Salzburg, Foto: wildbild/Herbert Rohrer

Jan Verwoert schreibt in einem Essay, dass die Arbeit Bartuszovás „weit über den Akt der bloßen Darstellung von Körpern hinausgeht. In ihrer Praxis wird die Bildhauerei zu einer Kunst, Körpern einen Körper zu geben, dem Anderen einen Körper zu geben, dem Anderssein, dem Fremden einen Körper zu geben.“(6) Die Ausstellung gibt den Besuchenden die Gelegenheit ihren eigenen Körper mit den Kunstwerken in Beziehung zu setzen. Ob die große Dichte der Arbeiten in Vitrinen und auf den niedrigen Podesten immer dazu beiträgt, die direkte Begegnung tatsächlich zu ermöglichen und den einzelnen Werken gerecht zu werden?

Anmerkungen

(1)  Siehe Kurzführer zur Áusstellung ohne Pagina

(2)  Georges Didi-Huberman, Ähnlichkeit und Berührung. Archäologie, Anachronismus und Modernität des Abdrucks, Köln 1999, S. 191.

(3)  Noemi Smolik: Maria Bartuszová, Museum of Modern Art, Warsaw/ Museum on Panská 3, Artforum, Februar 2015, https://www.artforum.com/print/reviews/201502/maria-bartuszova-49856 (letzter Zugriff 23.08.2023) “Her objects, thanks to their ambivalence, are strangely volatile. One might say that they tiptoe around an instant of discontinuity—still hard, they are softening; still resisting, they already prove pliant—a rupture the artist transmuted into form with wonderful dexterity.” (Übersetzung ins Deutsche: HA mit https://www.deepl.com/de/translator)

(4)  Die Chronologie folgt im wesentlichen Vladimír Beskid: Maria Bartuszová. The Path to Organic Scupture, In: Gabriela Garlantyová (Hg.): Maria Bartuszová, Catalogue Raisonné, Košice 2022, S 516 ff.

(5)  Gabriela Garlantyová: Touch. Impressed Thoughts of Maria Bartusová, Vortrag, Symposium Museum of Modern Art, Warschau, 27.09.2014 https://artmuseum.pl/en/doc/video-sympozjum-poswiecone-tworczosci-marii-bartuszovej-2 (letzter Zugriff 23.08.2023)

(6)  Jan Verwoert: The Form is Never Innocent, in: Gabriela Garlantyová, 2022. Anm. 5, S. 512: “a practice which goes far beyond the act of merely representing bodies. In her practice, sculpture becomes an art of giving bodies a body, of giving a body to the other, giving a body to otherness, to the alien.” (Übersetzung ins Deutsche: HA mit https://www.deepl.com/de/translator)

 

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Rosemarie Trockel