Documenta 15 – was bleibt?

documenta 15 im Nebel
Foto: Stefanie von Schroeter

Euphorisch hatte Sam Bardaouil, der seit gut einem Jahr zusammen mit Till Fellrath den Berliner Hamburger Bahnhof leitet, kurz nach der Eröffnung der letztjährigen documenta 15 prognostiziert: „Diese Documenta wird die Weise ändern, wie wir Kunst sehen, was wir glauben, was eine Ausstellung darstellt.“(1) Diese Prognose aber hat sich dann leider doch als unrealistisch erwiesen, denn nicht nur in der Ausstellungslandschaft im deutschsprachigen Raum ist eine solche Veränderung hin zu mehr partizipativer Projektkultur, zu mehr politisch engagierter Kunst und zur Betonung des kollektiven Arbeitens kaum ablesbar. Eben diese drei Eckpfeiler der Ästhetik der d15 sind heute wieder an den Rand gedrängt, an dem sie zumindest im „Globalen Norden“, also in den vergleichsweise reichen Industriestaaten des „Westens“, schon immer zuhause waren. Als „dark matter“ (dunkle Materie), wie der US-amerikanische Kulturkritiker Gregory Sholette es in seinem gleichnamigin Buch einmal genannt hat, fristet diese Form der Projekt basierten und dem Aktivismus nahestehenden Kunst immer noch ihr Dasein fast schon unsichtbar außerhalb des etablierten Kunstbetriebs der Museen, Ausstellungshäuser und Galerien. Auch die Tatsache, dass Kunst von einigen wenigen, mehr oder weniger renommierten politischen Einzel-Künstler:innen inzwischen durchaus im Kunstbetrieb ihren Platz gefunden hat, ändert daran nichts.

Selten blieb, so zumindest meine Einschätzung, eine documenta so folgenlos wie die letztjährige. Und dieses verwundert nicht, hat doch unter anderem das wertkonservative Feuilleton deren Ästhetik schon Monate vor der Eröffnung der d15 rigoros abqualifiziert. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Beispiel war zu lesen, dass „es kollektive Kunst per Definitionem nicht geben kann“.(2) Eine subjektivistische Auffassung von Autorenschaft wird so ignoranter Weise als die einzig mögliche Form des künstlerischen Produzierens behauptet. Ausgerechnet Bazon Brock, der einst mit seiner legendären „Besucherschule“ jahrzehntelang erfolgreiche Vermittlungsarbeit für die Documenta geleistet hat, konnte solchen Unsinn noch toppen, sprach er doch überaus respektlos vom „Schafsgeblöke“(3) der kollektiven Kunst auf der d15. Diese Worte fielen und fallen selbstverständlich auf fruchtbarem Boden, denn der Künstler als genialer Einzelkönner und Produzent von in sich abgeschlossenen Werken entspricht nicht nur unserem traditionellem Künstler:innenbild, er ist außerdem der Garant für handelbare und bequem ausstellbare Artefakte, die unseren eurozentristischen Kunstbetrieb in keiner Weise in Frage stellen. Nicht zuletzt darum wurde die d15 zwar vom Publikum, wie Umfragen(4) zeigen, überwiegend positiv aufgenommen, das „professionelle“ Betriebssystem Kunst aber ignorierte zu großen Teilen die Ästhetik dieser Großausstellung und fand schnell zu seinem „business as usual“ im Ausstellungsbetrieb zurück. Höhepunkte sind dann wieder vor allem Einzelausstellungen wie etwa die von Rosemarie Trockel im MMK Frankfurt oder Monica Bonvicini und Isa Genzken in der Berliner Neuen Nationalgalerie – gute Kunst sicherlich, aber eine die mit ihrer Fixierung auf den Werkbegriff – unbeabsichtigt! – das Wegblenden von kollektiver Projektkunst eben durch ihre von den Kurator:innen zu verantwortende Alleinstellung im Ausstellungsbetrieb untermauert.

documenta 15, Ruru Haus
Foto: Raimar Stange

Man kommt nicht umhin in diesem Kontext über die Antisemitismus-Vorwürfe zu reden, die gegen die d15 bis heute erhoben werden, auch sie übrigens wurden von Teilen der Presse bereits Monate vor der Eröffnung geäußert. Dass diese Vorwürfe, die sich letztlich auf fünf von etwa 1000 Arbeiten auf der d15 bezogen, auch dazu dienten die politische Projektästhetik der d15 zu diskreditieren, behauptete nicht zuletzt auch Meron Mendel, der Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank. Meron Mendel nämlich stellte, unter anderem auf einem Symposium zu diesem Thema an der HFBK Hamburg unmissverständlich fest, das diese Diskussion über den Antisemitismus den negativen Effekt hatte, alle anderen Themen der Ausstellung auszublenden. Als ein Beispiel nannte er die aktivistische Arbeit der Kubanerin Tania Bruguera, die wie viele andere in den Mainstream-Medien nicht diskutiert wurde. Es wurde in den Mainstream-Medien eben vor allem über fünf Arbeiten der d15 geschrieben, gut 995 Arbeiten aber wurden, nicht ohne Absicht, ignoriert. 

Der Schulterschluss von Antisemitismusvorwürfen und dem Ignorieren von kollektiver Projektkunst war beispielhaft an der Ausstellung Who by fire: On Israel im Berliner Haus am Lützowplatz ablesbar: Einerseits nämlich wurde dort Kunst von jüdischen Künstler:innen gezeigt, also genau das, was angeblich „die Documenta vereiteln“ wollte, wie wiederum die Frankfurter Allgemeine schrieb und dabei darüber hinwegtäuscht, dass sehr wohl Kunst von jüdischen Künstler:innen auf der d15 zu sehen war. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beteuerte weiter: die in Who by fire: On Israel zu sehenden Arbeiten „hätten der Documenta gut getan“(5). Diese Behauptung macht in den Augen dieser Zeitung sehr wohl Sinn, handelte es sich doch in der Ausstellung durchwegs um Werke von Einzelkünstler:innen, Projekt basiertes Arbeiten dagegen fand keinen Platz. Dass es sich bei diesen Werken dann größtenteils um Politkitsch handelte – mit Mullbinden umwickelte Bäume sah man in Who by fire: On Israel ebenso wie einen Panzer aus Schaumstoff und einen fein säuberlich gemalten Kaktus als Symbol für die Situation für in Israel lebende Palästinenser … –, dieses nahm der Rezensent selbstverständlich für seine Kritik an der d15 gerne in Kauf.  

Die Folgenlosigkeit der d15 wird zur Zeit zudem noch durch ein Kulturverständnis unterstützt, dass sich von der Idee der „Kultur für die breite Masse“ abwendet und „hin zu einem Verständnis von Kultur als Spitzenleistung neigt“, wie Elke Buhr schreibt(6). Im Kontext eines nahezu in ganz Europa zu beobachtenden politischen Rechtsruckes lässt diese neoliberale Vorstellung von einer Kunst der „Exzellenz“, wie es zum Beispiel der neue Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) immer wieder nennt, endgültig mit seiner letztlich elitären Leistungs- und Erfolgsideologie keinen Platz für ein kollektives und, wenn man so will, basisdemokratisches Kunstarbeiten. Zumal wenn Erfolg nur noch definiert wird als sich wirtschaftlich Durchsetzen im Verdrängungswettbewerb der „Branche Kultur“ (Joe Chialo). Wird Kultur aber zur „Branche“, dann ist sie keine Kultur mehr, sondern kommt nur noch als „Kunstwirtschaft“ daher.   

(1)  Erstes Expertenlob für Documenta, Monopol-online, 17.6. 2022, www.monopol-magazin.de/erstes-expertenlob-für-documenta (letzter Zugriff 01.10.2023)

(2)  Stefan Trinks, Streit um die Documenta: Kollektive sind der falsche Weg, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.01.2022 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/streit-um-die-documenta-kollektive-sind-der-falsche-weg-17753253.html (letzter Zugriff 01.10.2023)

(3)  Bazon Brock, Documenta 15 ist Re-Fundamentalisierung der Kunst, Deutschlandfunk, 21. 06. 2022, https://bazonbrock.de/werke/detail/?id=3996 (letzter Zugriff 01.10.2023)

(4) Documenta: 17 Prozent weniger Publikum als 2017 – www.kunstforum.de/nachrichten/documenta-17-prozent-weniger-als 2017 (letzter Zugriff 01.10.2023)

(5) Alle Zitate: Stefan Trinks, Bilder aus einem gespaltenen Land, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.06.2023, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/israelische-kuenstler-in-berlin-bilder-aus-einem-gespaltenen-land-18960909.html (letzter Zugriff 01.10.2023)

(6)  Elke Buhr, Ambition und Exzellenz, Monopol-online, 30.06.2023 www.monopol-magazin.de/neue kulturfoerderpolitik in berlin? (letzter Zugriff 01.10.2023)

Zurück
Zurück

EVA International

Weiter
Weiter

Maria Bartuszová