Alias
Manfred Pernice im Alter Ego
Es scheint, als ob Heteronym oder Pseudonym ebenso wie Alter Ego, Alias oder a.k.a. in den letzten Jahren für künstlerische Produktions- und Autorenmodelle weniger gebräuchlich geworden sind. In den 1980er Jahren beflügelte bekanntlich Rimbauds „Ich ist ein Anderer" Künstlermythos und selbstbezügliche Subjektentwürfe, die die wesentlich diskursfreudigeren 1990er und 2000er Jahre unter dem Motto „The Artist as…“ parierten.(1)
Dieser Generation, die in den 1990er Jahren an die Öffentlichkeit trat und pragmatischere Subjektmodelle aufstellte, die den gesellschaftlichen und personellen Status der Kunstschaffenden in Hinblick auf Karriere, Werk, Distributions- und Präsentationsstrategien diskutierten, gehört auch Manfred Pernice an, der nun als „OLAFUR panoni“ in der Galerie nächst St. Stephan auftritt (zur Ausstellung siehe auch den nachfolgenden Blogbeitrag von Hildegund Amanshauser). „dellbrück“ heißt die Präsentation in der Domgasse 6 und bezieht sich vordergründig, was dem Wiener Publikum kaum geläufig sein dürfte, auf einen Ortsteil von Köln, der in einigen Fotografien an der Wand vorkommt. Vanessa Joan Müller macht uns überdies auf das Wortspiel „Delle in der Brücke“ aufmerksam, womit der für Pernice wichtige Anteil der Sprache bereits im Titel fassbar wird und vermutlich auch im Alias eine Rolle spielt.(2)
OLAFUR panoni ist ein Pseudonym oder Alter Ego, von dem wir annehmen können, dass es speziell für dieses Projekt gewählt wurde. Wir kennen diese Vorgangsweise aus der künstlerischen Praxis von Gillian Wearing, von Roni Horn, Basquiat, Richard Prince und vielen anderen, wobei das Pseudonym oft nur für eine gewisse Zeitdauer, eine Werkphase oder ein Projekt in Verwendung war. Patrick Ireland war Brian O’Dohertys Alter Ego seit dem Bloody Sunday 1972, bis er dieses 2008 feierlich begrub. Richard Prince war John Dogg, Basquiat Samo. Im Alter Ego kann die Rolle anderer Personen gesucht werden, wie Gillian Wearing in ihrer Arbeit Album (2003) die Rolle von Familienmitgliedern mehrerer Generationen eingenommen hat. Das Alter Ego kann auch sein eigenes Double sein, wie William Kentridge sich in den Carnets d’Égypte als sein eigener Doppelgänger inszeniert hat, während sich Alighiero Boetti als Alighiero e Boetti selbst an der Hand nahm, um neue Wege zu beschreiten. Ebenso aber kann es ein neuer Name, ein Pseudonym sein, ohne dass eine andere fiktive Person im Spiel ist. Dies gilt ebenfalls für Pernice, wenn auch vom bloßen Namen her keine Referenz auszumachen ist wie bei George Brecht und Blinky Palermo, die die Namen von Dichter bzw. Mafioso gewählt hatten.
Es ist auch auszuschließen, dass Pernice uns etwas mitteilen will, das er in eine Fiktion kleiden muss, wofür es das legendäre Beispiel von Marcel Broodthaers gibt, der als Jacques Offenbach an Beuys alias Richard Wagner einen offenen Brief schickte, indem er sein gegensätzliches Verständnis von Kunst darlegte. Seine „kritische Poetisierung“,(3) die Bilder und Wörter im Gegensinn aufbaute, setzte sich auch mit dem Künstler und dessen Aufgabe und Rolle auseinander. Das Authentische und dessen gleichzeitige Infragestellung kann man bisweilen bei Pernice nicht unähnlich vorfinden, allerdings geht es ihm kaum um den großen Wurf eines Künstlersubjekts.
Auch von anderen Möglichkeiten, die das Alter Ego mit Multiplizierung oder Substituierung bietet, macht Pernice im Gegensatz etwa zur Atlas Group, zu Reena Spaulings oder zu Claire Fontaine keinen Gebrauch. Eben so wenig spielen Fragen von Gender oder Rasse wie bei Joan Jonas („Organic Honey“) oder bei Claude Cahun, die ursprünglich Lucy Schwob hieß, eine Rolle. OLAFUR panoni bleibt eine einzelne männliche Subjektposition, die sich sozial neutral verhält und die sich, auch wenn sie immer wieder soziohistorische Kontexte (Vanessa Joan Müller) anbietet, kaum verkleiden und schützen muss, wie dies etwa für Karlheinz Weinberger alias Jim oder Struppi alias Gerhard Stecharnig alias Arigo Tho galt.
Doch zweifelsohne hat OLAFUR panoni Ambitionen, und gewiss ist er im Kunstbereich zu verorten. Der in Versalien geschriebene OLAFUR verleitet zu Assoziationen mit Olafur Eliasson, einem der international gefragtesten Künstler von Großinstallationen, dessen Verständnis von Natur und Material im Vergleich zu Pernice kaum gegensätzlicher ausfallen könnte und der auch mit Dellbrück nichts zu schaffen hat. Alles, was an OLAFUR groß angelegt ist, ist bei panoni klein und wirkt dem großen OLAFUR nachgeordnet. Eine mehrteilige Metallstange mit demselben Titel wirkt ebenso beiläufig und verschleiert ihre Ansprüche an das Konstruktive in einer angedeuteten Negation. Panoni – Pannini? Man könnte an Giovanni Paolo Pannini, den bekannten Architekturmaler denken, für den die Antike das war, was für Pernice die Moderne ist, würde sich das nicht gleichzeitig als ein Überhang an Bedeutung anfühlen, der Pernice vermutlich fremd ist.
Was hat OLAFUR panoni Manfred Pernice voraus? Ist, was Sprache und Sprecherposition betreffen, OLAFUR panoni als Wortspiel und Kunstfigur seinen Werken ähnlicher als Manfred Pernice? Er besteht aus unausgewiesenen Zitaten, die kaum aufzulösen sind. Er ist Archivar seiner textuellen und fotografischen Referenzen und mischt sich wie beiläufig unter seine Werke. Er insistiert auf Raumordnungen, wenn er etwa mit einer Art von Meterriss den White Cube der Galerie aufbricht, seine Diskursfreudigkeit jedoch mit deren Negation, mit „Ersatz“ und „Baustelle“ (wie ein Werktitel) gleich wieder zurücknimmt. Angriffslustig ist er wie der Roboter, der die einzelnen Bodenelemente verschiebt und Unordnung schafft, wie das in der „kritischen Poetisierung“(3) eben gang und gäbe ist.
1. Siehe etwa Matthias Michalka (Hg.), The Artist as…, Nürnberg 2006.
2. https://www.schwarzwaelder.at/de/exhibitions/manfred-pernice-2023
Zugriff 12.03.2023
3. Vgl. Wilfried Dickhoff, Magie – Art et Politique. Zur Jetztzeit eines Buchs von Marcel Broodthaers aus dem Jahr 1973
http://www.wilfried-dickhoff.com/abb/pdf/Dickhoff_Magie-Art-et-Politique_dt
Zugriff 12.03.2023