„Durch“ Arbeiten sprechen und nicht „über“ sie
Christine Kozlov, Information: No Theory, 1970, Ausstellungsansicht Christine Kozlov, American Academy of Arts and Letters, New York, 2024/2025
Foto: Charles Benton, © Christine Kozlov Estate
Nora Schultz im Gespräch mit Susanne Neuburger, Wien 03.01.2025
Susanne Neuburger: Sie sind seit 2022 Professorin an der Akademie der bildenden Künste im Fachbereich Skulptur und Installation mit Sitz in der Kurzbauergasse. Davor haben Sie in Harvard unterrichtet. Einem größeren Publikum sind Sie in Wien 2019 durch Ihre Ausstellung would you say this is the day? in der Secession bekannt geworden. Ihre komplexen Titel – wie 2024 in Bremerhaven mit Ganz grosse Flüsse laufen unter der Erde – korrespondieren dabei mit einem Sprechen über den Ausstellungsraum und vereinen die verschiedensten Medien. Als zentrale Momente werden für Ihre Arbeiten oft Verschiebung, Destabilisierung oder Transformation genannt, mit denen ein normatives Verständnis von Skulptur um andere Sichtweisen erweitert wird.
Immer wieder beschäftigen Sie sich auch kuratorisch mit anderen Künstler:innen. 2025 etwa bereiten Sie eine Ausstellung über Bernd Lohaus vor. Derzeit ist in der New Yorker American Academy of Arts and Letters die von Ihnen und Rhea Anastas kuratierte Ausstellung über Christine Kozlov (1945 – 2005) zu sehen, einer Künstlerin, die im New York der 1960er-Jahre in allen wichtigen Ausstellungen im Umkreis der Konzeptkunst vertreten war, später nach London übersiedelte und in der Folge wenig Beachtung erfahren hat.
Christine Kozlov, Statement zu Information: No Theory, 1970, Ausstellungsansicht Christine Kozlov, American Academy of Arts and Letters, New York, 2024/2025
Foto: Charles Benton, © Christine Kozlov Estate
Nora Schultz: Es hatte mich sehr interessiert hierher zu kommen und an der Akademie zu unterrichten, weil die Akademie wirklich toll und sehr frei ist. Vor allem, was die Skulptur betrifft, hat sie eine spannende Geschichte. Zudem bietet das abseits gelegene Department für Bildhauerei (in der Kurzbauergasse) eine besondere Voraussetzung sowohl für mich zum Lehren als auch für die Studierenden. Mein Ansatz war, über längere Zeiträume mit Studierenden zu arbeiten und mit der Klasse etwas Substantielles zu entwickeln. Mein Arbeitsbegriff für meine eigenen Projekte und meine Arbeitsmethode in der Klasse basieren auf einem weit gefassten Skulpturenbegriff. Die Studierenden benutzen alle Arten von Medien, allerdings betrachten wir alles durch eine skulpturale Linse. Was hat es mit Skulptur zu tun? Wie kann man Skulptur heute denken, wie kann man sie erweitern? Grundsätzlich ist der Ansatz der einer Erweiterung. Wichtig ist auch, dass es sich um eine Klasse für Skulptur und Installation handelt, was heißt, dass der Akt der Installation, des Aufbaus und die Bezugssetzung zur Wirklichkeit oder zum gegebenen Raum eine große Rolle spielen, immer mit einbezogen und gleich wichtig wie das Objekt selbst sind. Ich sehe in der Installation auch eine Möglichkeit, die eigene Positionierung zu verstehen, zu beleuchten und in die Arbeit mit einzubeziehen. Also nicht nur das Herstellen eines Objektes, sondern gerade auch das Hinstellen und sich selbst dazu in Beziehung setzen, sind essentiell. Dies bedeutet auch, sich selbst als ein Teil der Gesellschaft zu verstehen, das Werk also genauso zu betrachten wie dies später andere Leute abseits der Position von Autorin oder Autor ebenso tun würden. Für die Klasse ist es mir auch wichtig, meine eigene Arbeit in dieser Form mit reinzubringen.
Wiederholt wurde mir im Übrigen angeboten, mit Werken „von außen“ zu arbeiten, mit Künstlerinnen und Künstlern, die schon gestorben sind. Das beinhaltete Recherche, Aufarbeitung und Ausstellung. Zum Beispiel bin ich Teil der Maryanne Amacher Foundation und habe in Philadelphia eine ihrer Soundinstallationen innerhalb eines Symposiums realisiert. Obwohl ich keine professionelle Soundkünstlerin bin und in der Gruppe auch wirklich sehr im Hintergrund, ist mir der Kontext und die Zusammenarbeit mit diesen Leuten wichtig. Ich war mit Maryanne Amacher befreundet und ihre Arbeit hat mich beeinflusst. Im Moment bereite ich eine Ausstellung mit Werken von Bernd Lohaus vor, die Ende März im Etablissement d‘en face in Brüssel eröffnen wird. Bernd war mein Onkel. Olivier Foulon, ein Künstler aus Belgien, hat mich eingeladen, diese Ausstellung im Dialog mit meinen eigenen Arbeiten zu realisieren. Es bedeutet mir sehr viel das machen zu können, aber ich hätte es selbst niemals vorgeschlagen. Ich stelle bei diesen Projekten auch jedes Mal meine Eignung in Frage. Ich nähere mich den jeweiligen Arbeiten als Künstlerin, aber der Austausch mit Historiker:innen und Leuten, die die Künstler:innen und ihr Werk nochmal anders kannten und verstehen können, als ich es vermag, ist mir wichtig, und ich fühle mich sogar darauf angewiesen. Vor allem interessiert mich daran die andere Erfahrung von Zeit, die dann in die Arbeit mit einfließt, wie die Frage: Wie kann man Arbeiten, die in irgendeiner Form radikal waren, beispielsweise radikal konzeptuell oder zeit- und ortsspezifisch, sehr experimentell oder fragil, wie kann man solche Arbeiten später, wenn die Künstler:innen nicht mehr am Leben sind, ausstellen und ihnen gerecht werden, wenn die veränderte Zeit als eine neue Gegebenheit aktiv einbezogen werden muss? Wie versteht man sich selbst und die eigenen Arbeiten als Teil einer Zeit, die über die selbst gelebte hinausgeht? Wie bleiben Kunstwerke aktuell, wie schaffen es manche Werke, immer auch von der Gegenwart zu erzählen, in der man sie betrachtet?
Bernd Lohaus hat übrigens zusammen mit seiner Frau Anny de Decker, einer Kunsthistorikerin, auch den Wide White Space gegründet, er hat also als Künstler auch Werke anderer Künstler:innen ausgestellt. Ich glaube, die Trennung bzw. die Frage, was man jetzt ist, Künstler:in oder Kurator:in, die kommt erst durch das Publikum und ist an sich nicht besonders produktiv. Ich denke, die Beschäftigung mit anderen Kunstwerken und der nahe, persönliche Dialog mit Kunsthistoriker:innen kann als wichtiger Teil der eigenen künstlerischen Arbeit gesehen werden.
SN: Wir haben uns über Ihre Arbeit zu Christine Kozlov kennengelernt. Gemeinsam mit Rhea Anastas haben Sie das Werk von Kozlov erkundet und in der schon erwähnten American Academy gemeinsam mit Rhea eine Ausstellung gemacht, die derzeit noch bis Februar zu sehen ist. Christine Kozlov war eine amerikanische Künstlerin, die seit den 1960er-Jahren an Projekten und Ausstellungen beteiligt war, später nach London gegangen ist, dort mit Provisional Art & Language arbeitete, aber von der Kunstgeschichte wenig erwähnt wird. Ich hatte sie gemeinsam mit Hedwig Saxenhuber 2004 anlässlich der von uns kuratierten Ausstellung Kurze Karrieren im mumok nach Wien eingeladen, wo sie einen Teil ihres Werkes zeigte. Ihre nun mit Rhea konzipierte Ausstellung beruht auf einer umfassenden Recherche in dem nun von Marilyn Thompson, der Tochter von Christine Kozlov, verwalteten Archiv. Sie haben beide die Vorbereitung in ihre Klassen gebracht und sich intensiv mit dem Werk auseinandergesetzt. Einige interessante Reviews sind erschienen und Sie haben viel Zuspruch erfahren.
Christine Kozlov, Sound Structure No. 5, 1965, Ausstellungsansicht Christine Kozlov, American Academy of Arts and Letters, New York, 2024/2025
Foto: Carter Seddon, © Christine Kozlov Estate
NS: Rhea ist Kunsthistorikerin, freie Kuratorin, sie schreibt und unterrichtet an der Irvine University of California Kurse wie „Artists as Writers“ oder einen Kurs über „Long-Form-Interview“. Aber all diese Benennungen beschreiben eigentlich nicht ihre Arbeit, weil sie sich immer so klar über Kategorien hinausbewegt. Rhea hat intensiv mit Künstler:innen zusammengearbeitet und in diversen Formaten viele sehr interessante Werke realisiert, z.B. mit Andrea Fraser, Jennifer Bornstein, Cady Noland, Danny McDonald oder Louise Lawler. Diese Kollaborationen sind mit lang andauernden Konversationen verbunden. Mein Eindruck ist, dass man als Künstler:in eine Art Langzeit-Beziehung mit Rhea eingeht, in der man tatsächlich teilweise das Gefühl hat, zusammen zu leben, weil man so einen wichtigen Teil des Lebens über einen längeren Zeitraum miteinander verbringt und die parallelen zeitlichen Entwicklungen die Arbeit so stark mit beeinflussen. Die Veränderungen, die in der Wahrnehmung der Kunstwerke über die Zeit hinweg stattfinden, werden nicht nur gemeinsam registriert, sondern sie steuern die Zusammenarbeit, sind Beweggründe für das Weitergehen. Es ist eben nicht ein abgekapseltes Projekt mit vordefinierten Rollen, Aussagen, Ergebnissen, sondern gerade das Vermischen von Perspektiven ist daran so produktiv. Da ich direkt nach der Eröffnung der Kozlov-Ausstellung zurück nach Wien musste, bin ich nun sehr froh, dass Rhea viel vor Ort sein kann, sie spricht auch mit den Besucher:innen und berichtet mir von diesen Gesprächen. Wir sind noch immer sehr mit der Ausstellung beschäftigt, sie ist gut besucht und wird insgesamt sehr positiv aufgenommen.
Bei Christine Kozlov war uns wichtig, dass unser Ansatz, sich dem Werk so unvoreingenommen und sensibel wie möglich zu nähern, sowohl für unsere eigene Recherche als auch für den Klassenraum und schließlich auch für die Erfahrung der Ausstellung galt. Wir wollten eher „durch“ die Arbeiten sprechen als „über“ sie, wollten die Arbeiten genau untersuchen, bevor wir ihre Zuordnung in größeren Werkkomplexen oder allgemeineren Zusammenhängen (wie ihrer Zeit, parallelen Werken befreundeter Künstler:innen, politischen Zusammenhängen etc.) in Betracht zogen. Natürlich war es dennoch wichtig, den Studierenden zunächst einen groben Zusammenhang zu vermitteln: über Conceptualism ebenso wie über die politischen Zustände in den USA zu dieser Zeit, den Vietnamkrieg oder den Stellenwert von Protestaktionen, über den Gebrauch von Medien und die Macht der News-Medien, Manipulation (Fake News) oder den Beginn von Surveillance. Letztere spielen etwa in Kozlovs Arbeiten wie Information: No Theory oder Information Drift eine Rolle, die man nur mit diesem zeitlichen Hintergrund in ihrer Komplexität ganz verstehen kann. Entwicklungen im Feminismus in Literatur und Kunst waren auch wichtig. Ich war erstaunt, wie einige Studierende dem Begriff Feminismus mit beinahe selbstverständlicher Abneigung begegneten und den ganzen Kontext als etwas Veraltetes ansahen. Die Diskussion ist dann aber, als wir etwa Woman Sitting at the Machine, Thinking von Karen Brodine in Hinblick auf Kozlovs Practice Piece oder auch ihr Manuskript über Gender als „Tokenism“ lasen, wesentlich komplexer geworden und einige standardisierte Vorurteile haben sich dadurch auflösen lassen, hatte ich den Eindruck. In den ersten Sessions sahen wir uns die Fotos an, die Rhea und ich im Estate aufgenommen hatten. Wir nahmen uns dabei viel Zeit für jede einzelne Arbeit. Wir haben oft einfach versucht, langsam zu beschreiben, was wir sahen, um viele Eindrücke entstehen zu lassen.
SN: Liest man die vorhandenen Texte zu Kozlov sowie die Kritiken zur Ausstellung, die jetzt erschienen sind, gewinnt man den Eindruck, dass sich alle um eine Definition bemühen, diese Künstlerin, die sich jeglicher Vereinnahmung entzieht, einzuordnen, während Sie im Gegenteil das Sprechen über Kozlov ständig erweitern und vertiefen.
NS: Unser Kurs fand in einem bestimmten Zeitraum über Zoom statt, hatte aber sowohl in Wien als auch in Los Angeles Zeiträume, in denen wir uns jeweils mit den Studierenden in-person trafen, um den „Studio"-Aspekt des Kurses stärker zu betonen. Es ist wichtig zu sagen, dass auch Rheas Kurs in Irvine ein „Studio-Kurs“ war, also kein theoretischer Kunstgeschichte-Kurs. Rhea arbeitete mit ihrer Klasse gemeinsam mit der Künstlerin und Assistentin Davora Lindner mit verschiedenen „assignments“, Aufgabestellungen, aus denen Kunstwerke entstanden, die in der einen oder anderen Weise die Methodik von Kozlov annahmen, wie Langzeit-Recording, Notation, Kommunikation etc., während wir in Wien in dieser Zeit meistens eigene Arbeiten der Studierenden ansahen, die sie in irgendeiner Weise in Beziehung zu Kozlov begriffen, z.B. weil sie genannte Methoden beinhalteten oder weil sie inhaltliche Parallelen hatten. Die Studierenden konnten, wenn sie wollten, diese Sitzungen selbst leiten und gestalten. Es gab zum Beispiel eine Präsentation einer Studentin, die viel mit Transkription gearbeitet hat, bei der wir deren Bedeutung als künstlerische und „skulpturale“ Methode besprachen. Interessant war hier der Stellenwert von Zeit, mögliche Bedeutungsverschiebungen mit zunehmendem Alter der Arbeit, gerade im Vergleich von Kozlovs Arbeiten mit denen der Studentin in Bezug auf die Veränderung im Prozess der Transkription.
SN: Die Klasse von Rhea und Ihre Klasse: ein großes Kurator:innenteam …
NS: Wir haben in der Klasse wenig über die Ausstellung selbst gesprochen, vor allem weil so lange gar nicht klar war, ob wir eine Ausstellung realisieren könnten und wo sie gegebenenfalls dann stattfinden würde. Es ging in erster Linie einfach darum, etwas über das Werk zu lernen. Aber ja, das Team war groß, und es fühlte sich für mich wirklich teilweise so an, als würden wir zusammen an einer speziellen Mission arbeiten, von der noch nicht so klar war, wo sie hinsteuern würde. Im letzten Semester des Kurses kam dann auch Josephine Pryde und ihre Klasse aus Berlin (UdK) dazu. Andere regelmäßige Teilnehmer:innen waren Annie Ochmanek, die gerade in New York an ihrem PhD über Conceptualism arbeitet, aber auch als Historikerin und Kritikerin schreibt, Jenny Jaskey, die Direktorin und Chief Curator von Arts & Letters, und natürlich Marilyn Thompson, die Tochter von Christine Kozlov. Marilyns Perspektive und Teilnahme waren ein extrem wichtiger Bestandteil des Kurses.
Es war uns wichtig, den Studierenden Mitverantwortung für unseren Kurs zu geben und es ihnen zu ermöglichen ihn im Verlauf mitzugestalten, zum Beispiel durch eigene Arbeiten oder zusätzliches Material, das sie in einer Art Dialog zu Kozlov einbrachten oder auch durch das Mitgestalten der allgemeinen Struktur des Kurses, auch über unsere eigenen Grenzen hinaus. Zum Beispiel konnte eine Studentin, die ein Auslandssemester in Mexiko City absolvierte und sich dadurch in der gleichen Zeitzone befand wie Rheas Klasse, dort dann als Teaching Assistant angestellt werden und eine Brücke zu uns herstellen, und es war ihr möglich, dieses sehr andere System der amerikanischen Schule in der Praxis mitzuerleben. Zwei andere Studentinnen aus dem Kurs haben kürzlich Förderungen bekommen, um die Ausstellung in New York besuchen zu können und sie weiterführend in den Kunstkontext von Kopenhagen in Form eines eigenen Kurses an der dortigen Akademie oder einer Ausstellung einbringen zu können. Es freut mich, dass die Studierenden das ganze Projekt nun mit ihren eigenen Erfahrungen weiterbringen.
Christine Kozlov, Information Drift, 1968, Ausstellungsansicht Christine Kozlov, American Academy of Arts and Letters, New York, 2024/2025
Foto: Charles Benton, © Christine Kozlov Estate
SN: Die Ausstellung findet in den Räumen der American Academy statt, die neu renoviert ist und parallel auch zwei andere Ausstellungen zeigt. Der Ort in Washington Heights ist Teil eines mächtigen historistischen Komplexes, der sich als neuer Ausstellungsort etablieren will. Es sind vier Ausstellungsräume unterschiedlicher Größe, von denen der zum Park gelegene mit einem Ballsaal verglichen werden könnte. Hier zeigen Sie unter anderem die Arbeit Information: No Theory, eine der zentralen Arbeiten Kozlovs, mit der sie 1970 an der Ausstellung Conceptual Art and Conceptual Aspects im New Yorker Cultural Center teilnahm.
NS: Information: No Theory besteht aus einem Tonbandgerät mit magnetischem Tape und einem gerahmten Statement. Das Tonbandgerät nimmt ständig auf, ist aber so manipuliert, dass es den Sound der Umgebung kontinuierlich im kurzen Loop des Tonbands aufnimmt, womit die Aufnahme auf dem Tape jedes Mal, wenn der Loop durchgelaufen ist, mit einer neuen Aufnahme überspielt wird. Der Prozess der Aufnahme ist also zugleich der des Löschens bzw. Überschreibens von Sound.
Die Frage, die uns in unserem Kurs von Anfang an beschäftigte, war, wie Information: No Theory heute neu realisiert werden könnte, einerseits weil das originale Equipment nicht mehr existiert, aber auch, weil die kurze Zeitspanne des Loops, in der „neue“ Information zu „alter“ wird, im gegenwärtigen medienkritischen Bewusstsein noch ganz andere Assoziationen aufruft. Um zu verstehen, wie die Arbeit bisher realisiert wurde, luden wir zum Beispiel Peter Eleey ein, der die Arbeit in der Ausstellung The Quick and The Dead 2009 im Walker Art Center zeigte. Peter hatte sehr detaillierte Erinnerung an die technischen Aspekte der Arbeit. Ich sprach auch mit dem hauseigenen Techniker dort, der seine damaligen Notizen noch fand und mit mir teilte. Sie waren dann im weiteren Verlauf für Lary 7 und Leonid Galaganov wichtig, die die Arbeit für uns in New York realisierten und zunächst von diesen Notizen mit ausgingen. Lary 7 ist eine wichtige Figur der New Yorker Experimental Art-Szene und eine Koryphäe im Bereich analog-elektronischer Sound- und Bildtechniken. Im Teamwork mit Leonid, einem Komponisten und Multi-Instrumentalisten in New York haben die beiden die Apparatur des Aufnahmegeräts auf sensibelste Weise manipuliert. In der neuen Realisation steht eine der Spulen still, während die andere sich bewegt. Das hat einen hypnotischen Effekt und unterstreicht den skulpturalen Aspekt der Arbeit. Ich dachte, das ist jetzt in der Tat das Element, das die Arbeit im Unterschied zur früheren Installation ins Jetzt positioniert, was das Werk nicht wirklich verändert, aber viel für seine Wahrnehmung ausmacht.
Peter Eleey brachte aber mit der Thematik seiner Ausstellung im Walker auch noch andere Aspekte in die Diskussion um Information: No Theory, nämlich die der Metaphysik, Transmission oder Spiritualität. Obwohl es falsch wäre, die Arbeit unter diesen Aspekten final zu deuten, war es dennoch eine wichtige Öffnung in der Diskussion. Wir sahen dazu in Referenz den Film Transmission von Harun Farocki und Arbeiten von Stanley Brouwn und On Kawara an. Anders als im Walker, wo Information: No Theory auf einem hohen Sockel wie ein Rednerpult installiert wurde, entschieden wir uns, die Arbeit auf einem niedrigen, tischähnlichen Podest zu zeigen, um das Mikrophon eher in den Raum als zu den „Rednern“ zu dirigieren und die Apparatur freistehend anstatt in einer Plexiglas Hülle zu zeigen. Wie sie im Moment zu sehen ist, wird einem bewusst, dass sie auch den umgebenden Sound der Stadt aufnimmt bzw. den des durch die Fenster sichtbaren Friedhofs.
SN: Sie erwähnten die Vorbildfunktion der beiden Bände zu Cady Noland, durch die sie ihre Mitkuratorin Rhea Anastas kennengelernt haben, die die Publikation mit der Künstlerin erarbeitet hat.[1]
NS: Ich fand die Publikation außergewöhnlich: Der eine Band bildet die Arbeiten ohne einleitenden Kommentar ab, ohne einen einleitenden Teil zur Arbeit, der andere enthält verschiedene Texte. Das ganze Buch kam mir wie ein Kunstwerk vor, etwas, das zwischen Katalog und Werk steht und keine Hierarchien kennt. Ich bin dann mit Rhea in Kontakt getreten und habe ihr viele Fragen gestellt. Das Ganze ist ein Werk, kein Dialog oder Synthese, sondern eine Arbeit. Es ist auch nicht wichtig für Rhea, dass sie als Mitautorin genannt wird, sondern wichtig ist die Kollaboration, die aus einer Konversation entsteht, die zwischen der Arbeit und durch die Arbeit stattfindet. In der Klasse haben wir dann die Bücher besprochen wie eine Skulptur und diskutiert, wie wir uns dem annähern bzw. sie unter skulpturalen Aspekten betrachtet. Mit Rhea habe ich mich in der Folge über unsere Arbeit ausgetauscht, über Teaching, ihre Arbeit als Kuratorin und Historikerin und meine als Künstlerin. Damals war ich noch in Harvard und konnte sie leider nicht in die Klasse einladen. Das gelang erst in Wien durch die Arbeit zu Christine Kozlov. Rhea kannte Marilyn Thompson, und so haben wir das Archiv, das sich in London befindet, gesichtet und eine Zusammenarbeit begonnen. Am Anfang war es vage, aber dann entstand die Frage: Warum bringen wir das nicht in unsere Kurse, in unsere Klassen?
SN: Im ersten Raum sehen wir neben den Sound Structures zwei Bilder von Kozlov, Untitled (After Goya) und A Mostly Painting (Red). Sie haben sich in ausführlichen Beschreibungen den Bildern genähert.
NS: Genau. Der Titel in A Mostly Painting mit „Red“ in Klammern kann auch anders interpretiert werden und könnte auch „gelesen“ (read) bedeuten. Also man kann auch in so einem minimalen Bild viel erfahren oder erkennen, wenn man sich dem langsam annähert. Und die Studierenden haben das unheimlich gerne gemacht. Das hat mich gefreut und auch ein bisschen gewundert, weil es Geduld verlangt.
Christine Kozlov, A Mostly Painting (Red), 1969, Ausstellungsansicht Christine Kozlov, American Academy of Arts and Letters, New York, 2024/2025
Foto: Carter Seddon, © Christine Kozlov Estate
SN: Sie wollten ja definitiv keine Wandtexte und keine Erklärungen.
NS: In der Ausstellung waren ein paar Parameter diesbezüglich sehr wichtig. Wir wollten keinen Text, der, wenn man reinkommt, gleich mal an der Wand alles zusammenfasst. Wir wollten, dass man wirklich die Arbeiten sieht. Auch weil es bisher noch keine retrospektive Ausstellung in den USA gab von ihren Arbeiten und überhaupt nur eine Solo-Ausstellung in der Henry Moore Foundation 2015. Vereinzelt waren ja Arbeiten in Gruppenausstellungen zu sehen.
SN: Kozlov war in der Szene bekannt und auch einflussreich.
NS: Sie kannte die ganzen Leute ihrer Generation, war sehr aktiv und sichtbar. Bis zu ihrem Weggang aus den USA wahrscheinlich. Sie war mit Lucy Lippard, Seth Siegelaub, Laurence Weiner oder On Kawara befreundet. Die Korrespondenz im Archiv gibt darüber Aufschluss. Sie war unheimlich involviert, und ich glaube schon, dass sie mit den Leuten aus ihrer Zeit auch später noch in Dialog stand, wenn auch vielleicht teilweise in einem inneren Dialog aus der Distanz heraus.
SN: Sie zeigen in einer Vitrine auch die Referenzen zur Lannis Gallery oder zum Museum of Normal Art. Das waren wichtige Meilensteine, wobei zu betonen ist, dass die Arbeiten von Kozlov dieser Zeit keinerlei Gemeinsamkeiten mit denen von Joseph Kosuth aufweisen. Kosuth kommt denn auch in der Ausstellung kaum vor.
NS: Es gibt ein paar Arbeiten von anderen Künstlern in der Ausstellung: zwei Arbeiten von Stanley Brouwn, eine von Joseph Kosuth und eine von Rick Bartholome, ansonsten konzentrierten wir uns auf das Werk von Kozlov. Es war uns wichtig, dass man ihre Arbeiten sieht, dass man auch die Räume durch ihre Arbeiten sieht und mit den Arbeiten begreift, also Objekt und Raum miteinander in Beziehung treten. Es war uns wichtig, der Arbeit wirklich erste Priorität zu geben vor dieser Frage: Wer war der Mensch dahinter? Zuerst also die Arbeit und dann, weil wir in der Arbeit eine ganz außergewöhnliche Qualität gesehen haben, die Frage, wie sie sich mit dem jetzigen Moment verbindet, wie man sie im Jetzt betrachtet und erfährt. Uns kam vor, dass sie dies wirklich stärker als viele andere Arbeiten aus dem Umkreis der Konzeptkunst vermag und sehr aktuell ist, so dass man wirklich das Gefühl hat, das ist eine Ausstellung von jetzt, von 2024, und die Arbeiten finden im Jetzt statt. Und es war uns wichtig, dies ohne Texte oder einer Art von Framing zu zeigen. Wir wollten ja auch keine Labels, sondern man bekommt eine Broschüre als Ausstellungsbegleiter. Hier haben wir die „Vogelperspektive“ vermieden und arbeiten mit Fotos, die durch die Ausstellung quasi einen Weg beschreiben.
SN: Ist das auch als Kritik an vielen herkömmlichen Ausstellungen zu verstehen?
NS: Ja, auf jeden Fall. Wir hatten beide eine grundsätzliche Kritik an Ausstellungen, die die Arbeit von Künstler:innen durch Strategien des Framings, Kategorisierens oder auch durch biographische Einordnungen simplifizieren. Oft werden Kunstwerke dadurch verzerrt, damit sie in eine „kunstgeschichtliche“ Box passen. Kunstgeschichte muss unseres Erachtens auch das Undefinierte, Offene und Instabile des „Jetzt“ in seiner Zeitlichkeit mit einbeziehen, kann nicht von einer statischen Zeit ausgehen. Gerade bei Künstlerinnen wird oft versucht, die Person mit durch die Ausstellung darzustellen, und oft geschieht diese Definition durch ihre Beziehungen zu Männern. Auch wollten wir nicht, dass Wandlabels gelesen werden, bevor man die Arbeit ansieht. Wir wollten aber auch keine Information zurückhalten, deshalb gibt es eine detaillierte Liste mit allen Informationen, Jahr, Medium, Größe, Sammlung etc., die man in der Ausstellung einsehen kann.
SN: Vielleicht noch abschließend zu den Sound Structures. Man meint immer wieder Parallelen zu Earle Brown oder Christian Wolff oder zum Protofluxus zu finden. Notationen von Musik gibt es in dieser Zeit viele, dennoch führen uns diese Bezugssetzungen nicht unbedingt weiter, auch weil Kozlov so viele verschiedene Arbeiten hat und mit Eating Piece oder der Neurological Compilation wieder ganz etwas anderes aufmacht.
NS: Die Sound Structures sind Notationen, die nie gespielt werden sollten oder die nicht dafür gedacht waren, gespielt zu werden. Aber genau wissen wir es eigentlich nicht. Es kann durchaus sein, dass man sie spielen könnte. Aber so wie man die Blätter jetzt an der Wand sieht, sind das fertige Arbeiten. Ich glaube, es ist wichtig, sie so zu sehen. Sie sind abgeschlossen in dieser Form des Fotos, und es ist plötzlich nicht mehr die Frage, ob sie gespielt werden müssen oder nicht, sondern sie spielen sich in jedem Moment, wo man sie sieht, selbst visuell. Diesbezüglich entstand eine interessante Situation in der Klasse, als wir die Arbeit betrachtet haben, und es kurz total still war – ein unangenehmer Moment in so einer Klasse. Dann hat eine Studentin gesagt, sie hört, wie draußen jemand die Treppe runterläuft, wie ein Auto vorbeifährt, sieht dazu diese Struktur und hat das Gefühl, die Sound Structures zeigen ihr immer genau, wie lang das passiert. Sie hat quasi die Notation als etwas gelesen, was jetzt gerade stattfindet. Die Notation würde also die Geräusche gliedern, und quasi live rhythmisch strukturieren. Das fand ich wirklich erstaunlich, aber es gilt auch für andere Arbeiten wie Information: No Theory.
Kozlov war an vielen Dingen interessiert, an Philosophie ebenso wie an Natur und Wissenschaft, wie z.B. Gehirnforschung. Sie muss viel dazu gelesen haben. Einiges ist akribisch genau beschrieben, in einer Schrift, die auch Zeichnung ist: Neurological Compilation besteht aus neun Mappen, die jeweils die über zehn Jahre gesammelten und transkribierten Überschriften von Artikeln neurologischer Fachjournale beinhalten. Diese Mappen, wenn man sie jetzt in die Hand nimmt und öffnet, sind richtig schwer, und beim Lesen springt das Auge einerseits zwischen abstrakten wissenschaftlichen Begriffen und andererseits Titeln, die man sofort bildhaft begreift. Man wird sich über so vieles bewusst: Wie das eigene Gehirn und Auge durch das Kunstwerk gestresst und herausgefordert werden, über Gedächtnis und was ein Kunstwerk vermag, über so lange Zeit zu halten und zu vermitteln. Manche ihrer Arbeiten beschäftigen sich ja auch mit Krokodilen, Ameisen und Bienen. Diese Arbeiten erscheinen gerade für ihre Zeit erstmal schräg und haben auch einen gewissen Humor. Sie sind aber auch unglaublich scharf, wenn man den Text auf die menschliche Gesellschaft überträgt, und sie dann nicht zuletzt auch als politische Arbeiten begreift.
[1] Cady Noland, Rhea Anastas (Hg.), THE CLIP-ON METHOD, New York 2021.