Was hat uns Daniel Spoerri hinterlassen?

Ed van der Elsken, Dylaby, Raum von Daniel Spoerri, Stedelijk Museum, Amsterdam 1962, © Ed van der Elsken / Nederlands Fotomuseum

Spoerri schätzte die Palindrome von André Thomkins, die auf der Fassade seines Restaurants in Düsseldorf wie Straßenschilder angebracht waren und mit spiegelbildlich zu lesenden Sätzen kryptischen Inhalts die normative Richtmarke eines Straßenschilds ins Wanken brachten. Was hat uns Daniel Spoerri hinterlassen, der Zufall, Destabilisierung, Verstörung und Fallen suchte und fand und immer in Bewegung war? Es sind gewiss keine Ismen, die ein „Gesamtbild“ dieses Künstlers ergeben könnten, um das zahlreiche Nachrufe nach seinem Tod am 6. November ringen, die von tieftrauernden Museumsleuten (die nie mit ihm gearbeitet haben), von gesuchten Zu- und Einordnungen (Spoerri war gewiss kein Gartenkünstler und auch nicht Teil von Fluxus) sprechen und über die Rassengesetze in der NS-Zeit stolpern. Man könnte auch sagen: sie sind ihm allesamt in die Falle gegangen. Er sei Künstler geworden, so sagte er 1969, um die Bewegung der Fixierung entgegenzustellen.(1) Keineswegs wollte er Bilder hervorbringen, sondern suchte nach Orientierung verweigernden Formaten, von denen das Fallenbild eines war. Beim Fallenbild schnappt die Zeit an einem bestimmten Moment ein und pariert den Zufall, um einen Richtungswechsel von 90 Grad einzuleiten. Gerade in seinen Werken bis 1970 schien Spoerri beunruhigende Entwicklungen, Pausen und Kehrtwendungen zu lieben, die „korrekten“ und logischen Abfolgen widersprachen. Labyrinthe, Wunderkammern oder Sprachspiele waren seine Medien. Zeitmodelle, die eine Stunde (wie oft im Fallenbild), aber auch historische Abschnitte umfassen konnten, die er wie im Musée Sentimental „Reliquien“ nannte, bildeten Parameter. Was marginal abseits der Öffentlichkeit stattfand, war ebenso wichtig wie das, was institutionell in der Mitte der Kunstwelt platziert war. Dabei war Spoerri immer schon ein verdeckter Institutionskritiker. 1963 etwa veranstaltete er bei Rudolf Zwirner in Köln seine 7-Minuten-Ausstellung bis das Ei hartgekocht ist. Zwirner hatte seinen Ausstellungsraum auf Bitte von Thomkins mehr gönnerhaft als überzeugt Spoerri für einen Abend zur Verfügung gestellt, was der Künstler auf die Spitze trieb und die Ausstellung nach sieben Minuten wieder abbaute. Als „Katalog“ fungierte ein ca. 9 cm breiter Papierstreifen als Möbiusband, ein in den 1960er Jahren beliebtes Format, das nur eine Kante und eine Seite hat und keine Orientierung von oben und unten, innen und außen erlaubt. Mittig war ein Text gesetzt, in dem Spoerri mit dem Incipit „Na, also“ von seiner gleichzeitigen Misere mit der DuMont-Galerie in Köln in launiger Form berichtete und damit übliche Konflikte zwischen Künstler:innen und Galerist:innen ansprach. Bei all seinen Projekten war er immer auch Stratege, wie in Thomkins Palindrom „Strategy get arts“ oder „Strategy: get arts“ Sprache und Zufall mit Anforderungen an die Kunst verknüpft werden.

STRATEGY GET ARTS

André Thomkins, Palindrom, 1970

Von den beiden großen Gruppierungen der 1960er Jahre, die Liz Kotz mit Objekt/Edition/Store und Performance/instruktion/Partitur absteckte,(2) steht Spoerri exemplarisch mit der Edititon MAT und Projekten wie dem Krämerladen mit Addi Koepcke für die erste Richtung. Das Objekt war wichtig, aber oft Schaffensprozessen nachgeordnet. Gewiss hat er den Koffer des Nouveau Réalisme performativ als quasi Zauberer inszeniert und sich ebenso an anderen Aufführungen beteiligt, ganz abgesehen davon, dass er Tänzer war. Sein Drang zum Instabilen und in Bewegung Begriffenen hat ihn auch zu Ausstellung und Museum gebracht, als er 1961 Willem Sandberg, den Direktor des Stedelijk Museum in Amsterdam zur Ausstellung Bewogen, Beweging anstiftete. Ein Jahr später, 1962, folgte im selben Haus die Ausstellung Dylaby, das „dynamische Labyrinth“, an dem Niki de Saint-Phalle, Jean Tinguely, Robert Rauschenberg, Martial Raysee, Per Olof Ultvedt und Spoerri selbst teilnahmen. Der niederländische Fotograf Ed van der Elsken begleitete den Aufbau der Ausstellung und hat die Räume im Sinne der Künstler:innen fotografiert. Ein loses Blatt, das dem Katalog beigelegt war, zeigt den Grundriss, Rauschenberg entwarf den Umschlag des Katalogs mit einem doppelten Pfeil, der in beide Richtungen weist und Teil seines Wandobjektes war, auf dem eben ein Brett mit dem schon erwähnten schwarzen Doppelpfeil befestigt war. Er sollte auf die beiden Eingänge von Dylaby verweisen, war jedoch auch konzeptuell motiviert, indem er auf nicht Festgelegtes und Offenes verwies. Dylaby stand im Zeichen von Spiel, Abenteuer und Überraschung, wollte Kinder ansprechen und das Museum in einem neuen Format zum Leben bringen. Partizipation war dabei ein wesentliches Anliegen. Willem Sandberg, der seit 1928 am Museum war und das Stedelijk nach dem zweiten Weltkrieg übernahm, hatte längst neue Standards gesetzt, die sich in Ausstellungen, Publikationen und Drucksorten (Sandberg war ursprünglich Graphiker) niederschlugen. 1927 war er länger in Wien gewesen und hatte Otto Neurath studiert, der ihn sehr beeinflusste. Dylaby war eine seiner letzten Ausstellungen, bei der er den Künstler:innen völlige Freiheit einräumte. Der erste Raum war Spoerris Labyrinth, das dunkel war und gruselig sein wollte. Allerdings war Spoerris Hauptarbeit der Raum III, der das Fallenbild als Raum inszenierte, wenn er einen um 90 Grad gekippten Museumssaal gestaltete, in dem die Bilder auf dem Boden und an der Decke angebracht und die Wände mit Sockel und Plastiken sowie Figuren ausgestattet waren. Bekannt ist das Foto von van der Elsken, das eine erstaunte Frau mit Kind zeigt, die im Begriff ist, den Raum zu verlassen. Sie wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass der nächste Raum mit Raysse-Beach ebenso makaber sein sollte. In einem weiteren Raum veranstaltete de Saint-Phalle ihre Schießübungen auf Beutel mit Farbe in einem ebenso bizarren Ambiente. Am Ende des Rundgangs gelangte man in einen „normalen“ Museumssaal, der vermutlich erst den Unterschied zum White Cube deutlich machte. Die Suche nach anderen Perspektiven hatte die Künstler:innengruppe hier vereint. Das Labyrinth bot gleichermaßen eine mythologische Seite, wie es die Besucher:innen in eine utopische Zukunft versetzte. Psychische Verunsicherung war ebenso eingeplant wie kindliche Belustigung, wie Paula Burleigh anmerkt: „… artists harnessed the ludic quality of the labyrinth—a play factor that became a hallmark of the archetype’s postwar revival—to disrupt social norms inside and outside of the museum.”(3)

Logo von Dylaby am Katalogcover, 1962

Für seine Edition MAT hatte sich Spoerri um eine Neuauflage von Duchamps Rotoreliefs von 1935 bemüht, was ihm 1959 auch gelang. In diesem Zusammenhang erzählte er gerne zwei Anekdoten. Als Spoerri Duchamp kennenlernte, war dieser nur einem kleinen Kreis bekannt und Spoerri zitiert sich darauf beziehend Duchamps Satz: „They think I am a has been“, der Spoerri nachdenklich stimmte und sich ihm erst retrospektiv als nicht zutreffend erschloss.(4) Gegenüber Duchamp, der für die jüngere Generation von Nouveau Réalisme und Fluxus zweifelsohne eine Vaterfigur war – wie es auch Pierre Cabanne in seinen Gesprächen einem diesbezüglich eher gleichgültigen Duchamp entgegenhielt –,  beharrte Spoerri jedoch auf dessen Status als Großvater, was Duchamp irritierte.(5) Damals war Spoerri sehr jung, und nur so kann man sich seine genealogische Konstruktion erklären. Der Großvater allerdings ist nun er, der so gerne „über Daniel Spoerri“ erzählte und uns hierzu einen reichen Schatz hinterlassen hat.

 

 

(1) Daniel Spoerri, Anektdotomania, Daniel Spoerri über Daniel Spoerri, Basel 2001, S. 15.

(2) Liz Kotz, „Objekt, Aktion und Ephemera“, in: Achim Hochdörfer, Wilfried Kühn, Susanne Neuburger, Konzept, Aktion, Sprache, Köln/Wien 2010, S. 28.

(3) Paula Burleigh, “Ludic Labyrinths. Strategies of Disruption”, zit. nach: https://stedelijkstudies.com/journal/ludic-labyrinths-strategies-of-disruption/

Sehe auch: Janna Schoenberger, „Ludic Exhibitions at the Stedelijk Museum: Die Welt als Labyrinth, Bewogen Beweging, and Dylaby“, zit. nach: https://stedelijkstudies.com/journal/ludic-exhibitions-at-the-stedelijk-museum-die-welt-als-labyrinth-bewogen-beweging-and-dylaby/

(4) Wie Anm. 1, S. 87.

(5)  Barbara Engelbach, Sophie Haaser und Susanne Neuburger im Gespräch mit Daniel Spoerri, 9.2.2017, Audiofile, Archiv mumok.

 

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„Durch“ Arbeiten sprechen und nicht „über“ sie

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