„Home Tweed Home“: Heinz Frank und seine vestimären Praktiken

Wohnung Heinz Frank mit einem Wendemantel und dem karierten Sakko
Foto: Wolfgang Thaler

Dass Mode performativ gesehen werden muss, wenn sie sich sowohl räumlich als auch zeitlich in Bewegung befindet, muss für Heinz Frank ein Credo gewesen sein, lange bevor sich die Forschung zur Mode mit deren räumlichen und medialen Implikationen beschäftigte.(1) Kleidung braucht den Körper und schafft einen „Bewegungsraum“ in der „Erweiterung des Leibraums und der Schnittstelle zum bebauten Raum“(2), wie dies für Frank generell ein zentrales Thema war. Durch Kleidung, die seines Körpers bedurfte, um sie so überhaupt erst zum Vorschein zu bringen, verschaffte er sich Dynamik und Sichtbarkeit und rüstete damit sein Werk fast choreographisch auf.

Gabriela Brandenstein, Heinz Frank im karierten Anzug
Foto: Büro Heinz Frank

Anja Hitzenberger, Heinz Frank im karierten Anzug
Foto: © Anja Hitzenberger

Frank sagt anberaumt und meint damit eine dreidimensionale Situation. Schließlich war er auch Architekt, entwickelte seine skulpturalen Arbeiten oft aus architektonischen Elementen und schuf Gehäuse und Hüllen, wobei er deren rein statischen Charakter bisweilen prozesshaft und situationsbedingt aufbrach. Dabei war der Text Ausgangspunkt, den Frank in Publikationen auf Transparentpapier den Bildseiten vorlagerte, und der ihm immer auf der Zunge lag, wenn er unterwegs war, um Straße und Kunstbetrieb fußläufig zu verbinden. Sprache und Körper sah Hermann Czech denn auch als das direkte Instrument seiner Wirkung,(3) jedoch war der Körper bekleidet und diesbezüglich mit Überlegungen und Finessen ausgestattet. Seine Mäntel und Anzüge, die sich heute im MAK befinden, waren sorgfältig hergestellt oder ausgesucht. Gemeinsam mit Möbeln bzw. Möbelfragmenten und Teppichen sind sie zusätzliche Agent:innen in der komplexen Bezugssetzung aller Werkteile, wofür schlussendlich auch Franks Wohnung Zeugnis ablegt.(4)

Heinz Frank/Elisabeth Pichler, Ensemble in Salt and Pepper, MAK - Museum für angewandte Kunst
Foto: © MAK/Branislav Djordjevic

Wenn bildende Künstler:innen sich in Kleidung und Mode wagen, ist es oft das weiblich konnotierte Kleid, mit dem experimentiert wird, wie etwa Ellsworth Kelly ein einziges Kleid gemacht oder Andrea Zittel die Kittelschürze und andere uniforme Kleidung bearbeitet hat. Es geht dabei auch weniger um getragene Kleidung wie bei Frank, sondern um Fragen von Material oder Medienspezifik bzw. um Übersetzung eigener Problemstellungen ins Textile. Eine These könnte sein, dass wer sich am Kleid probiert, ein Zelt nachfolgen lässt. Für Kelly und Zittel trifft dies zu, und auch Frank hat den textilen Raum größer gedacht und sich für das Zelt interessiert. Er, der stets Perspektivwechsel und gerne Außen und Innen gegeneinander in Stellung brachte, bezieht sich in seinem Text Unumwunden Dimension auf das legendäre Zeltzimmer in Potsdam und betont das Durchgehende, (…) außen durch innen. Im, selben Material.(5) Gewissermaßen erweitert sich im Zelt die Beziehung zwischen Kleid und Körper um eine Mobilität, indem man sich nun außen und innen bewegen kann, dennoch aber im Textilen bleibt. 1987 hatte Frank anlässlich seiner Ausstellung im Museum moderner Kunst ein Zelt in den Herkulessaal des Palais Liechtenstein gestellt und damit den barocken Überschuss an Raumhöhe und Ausstattung ins Menschliche korrigiert. Der Titel Inwändig leibt Auswändig beinhaltet zugleich eine Programmatik, die auf dem gestalteten Raum und dessen Ausformung gründet.

Heinz Frank/Elisabeth Pichler, Wendejacke (Ausschnitt)
Foto: Büro Heinz Frank

 

Zweifelsohne hat das Kleid das größere räumliche Potential und ist öfter Thema als die männliche Kleidung, die sich wie bei Wladimir Tatlin oder Beuys, der immer das Gleiche trug, im Normativen von Uniform oder Standardware bewegt. Auch Mantel oder Anzug sind wesentlich genormt und bieten scheinbar wenig Spielraum. Dennoch setzt Frank gerade hier an. Wie Adolf Loos vorgab, war Franks Kleidung korrekt und orientierte sich neben klassischen Anzügen und Mänteln an englischer Sportskleidung, an englischen Stoffen, nützlichem Schuhwerk und Hüten. Was den dreiteiligen Anzug betrifft, haben Künstler dessen Autorität (und Banalität) – männlich, weiß und westlich – ab den 1960er Jahren im Kontext der Neoavantgarden paraphrasiert, ihn dennoch nie aufgegeben. Wie sehr der Anzug selbst für Künstler wie Paul Thek eine Rolle spielte, zeigt dessen Arbeit „Tomb of a Hippie“, in der er sich lebensgroß als rosa Wachsmodell im Anzug wie eine Grabfigur darstellt, um sich schließlich in Arbeitskleidung danebenzulegen. Man denke auch an Yves Klein, der die nackten weiblichen Modelle in einem modifizierten Smoking dirigierte. Gilbert & George, die in (maßgeschneiderten) Anzügen auftraten, brachten es auf den Punkt: „We wanted to be normal, normal weird …“ und fügten hinzu: „So normal that we became strange!“(6) Für Frank war die Differenz zwischen dem Normativen und dem davon Abweichenden vielleicht nicht unähnlich. Waren die Anzüge, Jacken und Mäntel eine Gemeinschaftsarbeit von Frank und seiner damaligen Partnerin Elisabeth Pichler, die auch später noch für ihn nähte? Spitzfindig vermieden beide trotz aller Variationen von Kragen, Taschen oder Knopfleisten zu sehr in den Nimbus des Dandys zu geraten, obwohl laute Karomuster, schrille Muster oder Accessoires wie der Kaviarlöffel in diese Richtung weisen.

Visitenkarte von Susanne Neuburger mit Text von Heinz Frank, ca. 2003 
Foto: Susanne Neuburger

Er setzt Tiermasken auf, schneidet Grimassen und lässt sich in zu großen Mänteln fotografieren. Kommt Frank im Sinne von „strange“ in die Nähe von Kostüm und Verkleidung? Wenn ja, dann nur so wie Cary Grant in Hitchcocks North by Nothwest (Der unsichtbare Dritte) in seinem eigenen (maßgeschneiderten) Anzug auftritt, also zugleich Individuum und Schauspieler ist.(7) Der Anzug zeigt und verbirgt, nach Anne Hollander ist er ein Abguss des nackten griechischen Athleten,(8) ein Bild, das heute allenfalls die Frankfurter Banker in dunklen Anzügen bedienen. Aber auch Frank zeigt und verbirgt, etwa mit Wendemänteln und Wendejacken oder mit dem im Revers des karierten Sakkos versteckten, schon erwähnten Löffel aus Horn. Spielt sich die Mode eindeutig an der Oberfläche ab und nur dort, stattet Frank sie mit Tiefe aus: Nach Innen weggetreten. Man kennt seine facettenreiche poetisch-philosophische Schichtung vom inneren Innen und äußersten Außen aus seinen Textsammlungen, so dass wohl ebenso eine Lesart der Kleidung als Text, wie sie Roland Barthes paradigmatisch vorgegeben hat, eine Option wäre.(9)  Der Text war immer präsent und disponibel. Frank „verstreute“ ihn auf seinen Rundgängen und Besuchen, wenn er bei Nichtantreffen kleine Botschaften auf Papiersäcken oder auf Visitenkarten hinterließ, die er beim Besuch davor mitgenommen hatte. Christy Astuy hat in ihrem Porträt von Frank im karierten Anzug, das er später auch als Plakat verwendete, treffend erfasst, dass der Austausch von Körper, Raum und Bewegung immer ein fließender war, wenn sie das Muster des Anzugs in unruhigen Linien über den Körper hinaus bis an den Bildrand ausströmen lässt. Kleidung braucht Raum und Frank hat ihn ihr gegeben.

Alle kursiv gesetzten Titel und Texte stammen von Heinz Frank, zitiert nach Peter Noever (Hg.), Illustrationen, Heinz Frank, Wien 1992, nicht paginiert.

(1) Siehe etwa die Beiträge von Gertrud Lehnert oder Alicia Kühl in Rainer Wenrich (Hg.). Die Medialität der Mode, Bielefeld 2015.
(2) Zitat von Manja Leyk in: Alicia Kühl, Die „Choreotopographie“ oder das Schreiben von Modeschauen, in: Wenrich, S. 218.
(3) Hermann Czech, Heinz Frank, in: Heinz Frank, Broschüre von Löcker & Wögenstein ohne Angabe.
(4) Vgl. http://heinzfrank.com/
(5) Zit. nach Illustration. Und die reinste Ablenkung: Heinz Frank, Wien 1980, nicht paginiert.
(6) Zit. nach Charlie Porter, What Artists Wear, New York 2022, S. 41.
(7) Siehe Ulrich Lehmann, Der Kalte Krieg im Anzug: Cary Grants Kleidung in Alfred HitchcocksDer unsichtbare Dritte“, in: Wenrich, S. 291 ff.
(8) Anne Hollander, Anzug und Eros: Eine Geschichte der modernen Kleidung, Berlin 1995.
(9) Siehe dazu ausführlich Lehmann, wie Anm. 7.

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