Rosemarie Trockel und Thea Djordjadze im Lenbachhaus

Rosemarie Trockel / Thea Djordjadze, limitation of life, 2007, Ausstellungsansicht limitation of life, Lenbachhaus München 2024
Foto: Lukas Schramm, Lenbachhaus

02.11.2024 bis 27.04.2025

„Als Publikum“, so sagt uns der Einführungstext zur gemeinsamen, von Eva Huttenlauch (Mitarbeit: Nicholas Maniu) kuratierten Ausstellung von Rosemarie Trockel und Thea Djordjadze, „sind wir angehalten, uns von unseren Referenzsystemen und Vorstellungsbildern zu verabschieden und ein neues, individuelles Assoziationsgebäude zu betreten“. Wie die dominante Arbeit der Ausstellung A Ship So Big, A Bridge Cringes scheint dieses ebenso stabil zu sein wie zu schwanken. Wir befinden uns, so könnte man den Text verstehen, an einem Ausnahmeort, wie er Trockel als Ausnahmekünstlerin immer schon zugestanden wird und nun limitation of life heißt. Eine vorauseilende Kritik an Institution und Ausstellungswesen wäre einerseits mit einer gewissen Undurchdringlichkeit und einem Hang zum Widerpart gepaart, wenn sich die „Grenzen zwischen Publikum, Raum und Kunstwerk verunklären“ und „die Hierarchie zwischen Werk und Betrachter:in“ (Einführungstext) aufbricht. Andererseits scheint die Ausstellung in ihrer Verschlossenheit anarchistische Züge für sich zu beanspruchen, was ein Passus aus Une saison en enfer (Eine Zeit in der Hölle) von Rimbaud, dem Meister des Hermetischen, unterstreicht.

Rosemarie Trockel / Thea Djordjadze, Lob der Langeweile, Detail, 2008
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Courtesy the artists and Sprüth Magers, Foto: Timo Ohler

Sind wir im Kino? Der erste Eindruck ist ein dunkler, wenn wir eine Art von Black Box betreten, ein Ambiente, das noch von Dynamik spricht, aber längst ruhiggestellt ist. Die darin befindlichen linear und graphisch sowie abstrakt anmutenden und zum Teil leuchtenden Objekte aus Neon, Schnüren und Fäden scheinen Halt am schwarzen Untergrund zu suchen als befänden wir uns bildhaft in einer abstrakten Schwarzweißfotografie, wie sie der Physiologe, Fotograf und Wissenschaftler Étienne-Jules Marey als graphische Methode für seine Versuchsanordnungen propagierte: Solche aus graphischen Elementen bestehende Aufnahmen verwendete er, um wissenschaftlichen Phänomenen mittels Lichtlinien, Bewegungen oder formelhaften Zeichen eine „direkte Form des Ausdrucks“(1) zu verleihen. Ein erstes Erleben der Ausstellung könnte ähnlich seismographisch ausfallen, deren bildhafte Körperlosigkeit sich jedoch auflöst, wenn wir weiter in den Raum vordringen. Dieser öffnet sich choreographisch und gibt einzelne Werke wie Lob der Langeweile oder Portion of a loan frei, wiewohl die angesprochenen Lebensfragen, die im übrigen auch Marey motivierten, nach wie vor abstrakt bleiben. Als wäre es auch hier eine Versuchsanordnung, sind primär die Werktitel wie korrespondierende Symptome fassbar, die zu den verschiedensten vagen Assoziationen verleiten. Konkret wird es im Raum mit der hyperrealistisch dargestellten, im Schaukelstuhl sitzenden Frau, die einen kontrastreichen und farbigen Gegenpart bildet, der deutlich auf die Problematik des White Cube und des Duchampschen „Regardeurs“ oder „Anschauers“ verweist.

Rosemarie Trockel / Thea Djordjadze, A Ship So Big, A Bridge Cringes, Detail, 2007
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Courtesy the artists and Sprüth Magers, Foto: Ernst Jank

Die Figur heißt limitation of life, ist 2007 als Gemeinschaftsarbeit von Trockel und Djordjadze entstanden und hat der Ausstellung nun den Titel gegeben. Wir kennen das Motiv der betrachtenden Figur aus Trockels Repertoire, oft in Mehrfachrollen oder Alter Egos verwoben und mit institutionellen Implikationen ausgerüstet, wie die für den Kunstraum der Zugspitze entworfene Miss Wanderlust von 2000 oder The Critic von 2015 für Bregenz. Ebenso integrierte Djordjadze, die ja von der Malerei kommt, in ihrer Ausstellung im Berliner Gropiusbau 2023 mit zwei frühen Bildern Betrachterfiguren in einen ihrer Ausstellungsräume.(2) Nun stehen wir vor dem Double der beiden Künstlerinnen, die einmal Lehrerin und Schülerin waren und häufig zusammenarbeiten. Die Kleidung mit der markanten gelben Hose weist Farb- oder Schmutzspuren auf, ein Gehstock liegt über den Beinen, als wäre alles abgeschlossen und hinter sich gelassen. Diese fiktive Person, neben der ein Sack liegt, der möglicherweise Reservekleidung enthält, wirkt im Vergleich zu den oben genannten Varianten wenig kämpferisch, wenn sie versunken auf das Szenario als diesmal nicht aktive Co-Autorin starrt. Viele Jahre nach ihrer Entstehung wurde sie nun von den Künstlerinnen als zentrale Referenz ausersehen. Aber ordnet sich die Welt nicht immer neu und ändert ebenso ihre Beschränkungen und Grenzen wie die Alter Egos der Künstlerinnen? Auch andere Objekte stammen von 2007 bzw. von 2008 oder 2017, wobei das Wiederaufgreifen und Rekonfigurieren ein Charakteristikum von Djordjadze ist, die ihre Werke in Bewegung hält, indem sie neue temporäre Anordnungen sucht.

Rosemarie Trockel / Thea Djordjadze, Portion of a loan, 2017, Ausstellungsansicht limitation of life, Lenbachhaus München 2024
Foto: Lukas Schramm, Lenbachhaus

 Beide Künstlerinnen geben kaum über ihre Arbeit Auskunft und überlassen Interpretationen den Betrachter:innen, denen allerdings oft sprechende Werktitel zur Verfügung stehen. Bleibt dann als Zugang nur der alte Hut der Institutionskritik mit allem Zweifel am Museum und dessen Funktionen, der alles ersetzen muss? Sind aber deswegen gleich jegliche „museale Norm“ sowie alle „kunsthistorischen Denk- und Begriffsmodelle“ (Einführungstext) aufgehoben? Dass mit der Ästhetik gehadert wird, mag aus dem Zitat von Rimbaud mit einer Attacke auf das als bitter empfundene Schöne hervorgehen. Formale Straffheit und Klarheit bleiben allerdings auch im Dunklen und Undurchschaubaren präsent. Wogegen müssen Trockel und Djordjadze hier so vehement vorgehen?

Rosemarie Trockel / Thea Djordjadze, Ausstellungsansicht limitation of life, Lenbachhaus München 2024
Foto: Lukas Schramm, Lenbachhaus

Ist es nicht eher ein Schnitt durch ihre Arbeit, ein Statement zur Kunst, zu den jeweils eigenen Werken, die als offen verteidigte Positionen herausgestellt werden? Und ist die Haltung der beiden Künstlerinnen nicht letztendlich vergleichbar mit dem kuratorischen Statement zur Ausstellung Aber hier leben? Nein danke. Surrealismus + Antifaschismus. Dort heißt es, dass die Ausstellung auch ein Angebot darstellt, sich zur Welt zu verhalten und danach zu trachten, nicht alles hinzunehmen zu müssen. Die bis März 2025, also parallel zu limitation of life laufende Ausstellung im Kunstbau, die von Stephanie Weber, Adrian Djukić und Karin Althaus (Mitarbeit: Johannes Michael Stanislaus) erarbeitet wurde, untersuchte im Gegensatz zu anderen Surrealismus-Ausstellungen dessen politische Seite und Rolle im antifaschistischen Widerstand. Magrittes Pfeife oder Dalis schmelzende Uhren suchte man dort denn auch vergebens. Die Ausstellung war in jeder Hinsicht eine großartige Leistung, mit der sich das Haus ebenso politisch wie diskursiv neuerlich als eines der spannendsten und anregendsten positionierte. Generell scheint das Haus unter der Leitung von Matthias Mühling und seinem Team von keinerlei populistischen Forderungen oder anderen Zugeständnissen an die Politik getrübt. Anspruchsvolle Saaltexte zeichnen das ganze Haus aus, das dennoch auf die Wünsche seines Publikums eingeht, indem es ein vielfältiges Programm anbietet: Die Ausstellung von Trockel und Djordjadze ist dabei ein Beitrag im breiten Spektrum eines museal optimal geführten Hauses und nicht unbedingt sein Opponent in Museumsfragen.

(1) Ausführlich bei Georges Didi-Huberman, Das Nachleben der Bilder, Berlin 2010, das Zitat von Marey ebenda S.136.

(2) Vgl. den Ausstellungsrundgang mit Julienne Lorz: q=thea+djordjadze+gropius+bau&client=safari&sca_esv=d5b6e2036872113a&channel=iphone_bm&source=hp&ei=Xu_wZ-7WErP-7_UPzZzpqQY&iflsig=ACkRmUkAbeiAAAAZ_D9bvKSYTExEBSMnv-43z9dfIyyGwcy&oq=thea+djordjaze 

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„Durch“ Arbeiten sprechen und nicht „über“ sie