Monira Al Qadiri

“I call myself a Post-Oil Baby”

Monira Al Qadiri, Choreography of Alien Technology, 2023, Ausstellungsansicht Mutant Passages, Bregenz 2023
Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist und König Galerie, © Monira Al Qadiri, Kunsthaus Bregenz

Zur Ausstellung Monira Al Qadiri, Mutant Passages, Kunsthaus Bregenz 22.04.2023 bis 02.07.2023

Von Kuwait wissen die meisten in Zentraleuropa wenig, vielleicht, dass es im 2. Golfkrieg 1990/91 vom Irak besetzt wurde und dass der anschließende Brand der Ölfelder eine gigantische Umweltkatastrophe zur Folge hatte. Viele wissen vielleicht nicht, dass in Kuwait 1938 das erste Ölfeld entdeckt wurde und es seit 1946 zu den größten Erdölproduzenten am Persischen Golf zählt. 1961 wurde Kuwait ein unabhängiger Staat. Auch die Kunstszene ist bisher bei uns eher unbekannt.

Daher ist es umso wichtiger, dass der Direktor des Kunsthaus Bregenz mit einer Einzelausstellung von Monira Al Qadiri einmal mehr sein untrügliches Gespür für aktuell spannende Positionen unter Beweis stellt, indem er eine der ersten großen Ausstellungen einer kuwaitischen Kunstschaffenden in Europa zeigt. Als Tochter eines Diplomaten und der – bei uns wenig bekannten – kuwaitischen Künstlerin Thuraya Al-Baqsami im Senegal geboren, ist die Künstlerin in Kuwait während des 2. Golfkriegs aufgewachsen, hat, ihrer Manga-Faszination folgend, zehn Jahre in Japan studiert, später in Beirut gelebt und arbeitet heute in Berlin. Einem breiten europäischen Publikum wurde sie durch ihre Biennale-Beteiligung in Venedig 2022 bekannt und zwar durch ihre bunten irisierenden, kantig-kubischen Reliefs aus Kunststoff, die im Arsenale zu sehen waren.

Für die gesamte Golfregion gilt, dass man ihre Geschichte in eine Periode vor und eine nach der Entdeckung der Erdölvorkommen einteilen kann. Die Vor-Öl-Epoche ist durch nomadische Gesellschaften geprägt, die Nach-Öl-Periode (also die nach der Entdeckung und der Ausbeutung des Erdöls) durch den enormen Reichtum einer kleinen Schicht von Einheimischen, der auf der Förderung von Erdöl und der Arbeit von Arbeitsmigrant:innen beruht. Die herrschende Gesellschaft ist einem konservativen Islam verpflichtet. Erdöl schafft nicht nur Reichtum, sondern ist bekanntermaßen auch wesentlich mitverantwortlich für den Klimawandel. Nicht umsonst bezeichnet sich Qadiri als „Post-Oil Baby“, also einer Generation zugehörig, die die Vor-Öl Periode nur noch vom Hörensagen kennt und sich, so könnte man ergänzen, auf die Post-Post-Öl-Periode vorbereitet.

Dieser Rohstoff Erdöl mit all seiner Widersprüchlichkeit steht nun im Zentrum der Ausstellung der Künstlerin im Kunsthaus Bregenz. Qadiris Arbeiten kreisen also um jenen Brennstoff, durch dessen Entdeckung das Leben auf der arabischen Halbinsel von einer alten nomadischen Kultur in eine glitzernde kapitalistische Gegenwart katapultiert wurde. Wesentliche Stilmittel – man fühlt sich dabei manchmal an Alice in Wonderland erinnert – sind gigantische Vergrößerungen und extreme Verlangsamung. Stilprägend sind auch die glänzenden, glatten Oberflächen und die spezifische Farbgebung, auf die noch eingegangen wird.

Monira Al Qadiri, Benzene Float, 2023, produziert mit der Unterstützung von ICD Brookfield Place, Ausstellungsansicht Mutant Passages, Kunsthaus Bregenz 2023
Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist, © Monira Al Qadiri, Kunsthaus Bregenz

Die Werkgruppen in den verschiedenen Geschossen des Kunsthauses folgen einer klaren Choreographie, die den Weg von der Faszination durch das Erdöl, von der Schönheit bis zu den Gefahren und tödlichen Folgen nachzeichnet.

Beim Betreten des Kunsthauses im Erdgeschoß wird man von riesigen Luftballons in Form wissenschaftlicher Darstellungen der Moleküle von Benzol, Propangas, Naphtalin und anderen petrochemischen Substanzen empfangen.

Monira Al Qadiri, Alien Technology (Tower), 2023, Ausstellungsansicht Mutant Passages, Bregenz 2023
Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist und König Galerie, © Monira Al Qadiri, Kunsthaus Bregenz

Im ersten Obergeschoss finden wir zwei große sich drehende Figuren im Raum und mehrere Reliefs an den Wänden, die industrielle Bohrköpfe, wie sie zur Ölgewinnung verwendet werden, in gigantischem Format nachbilden. Die zwischen Lila-, Rosa- und Grüntönen irisierenden glänzenden Oberflächen sind in der Farbgebung von Benzinflecken, wie man sie von Straßen kennt, inspiriert oder auch, wie Qadiri selbst sagt, von den irisierenden Innenseiten der Muscheln, die ein ähnliches Farbspektrum aufweisen wie Erdölflecken. Perlentauchen war übrigens in Kuwait der Vor-Öl-Epoche ein wichtiger Erwerbszweig. Auch der Großvater Qadiris arbeitete als Sänger auf einem Perlenfischerboot. Qadiri nimmt die Ästhetik der Ölbohrköpfe, deren harte Zacken, die oft von Diamanten gebildet werden, zum Ausgangspunkt für ihre von 3D- Druckern erzeugten Skulpturen aus Kunststoff, welcher selbst wiederum aus Erdöl entsteht. Die beiden großen im Raum stehenden Arbeiten in Bregenz drehen sich langsam, manchmal die ganze Figur, manchmal bestimmte Teile, auch hier greift die Künstlerin eine Eigenschaft der Bohrer, nämlich ihre Bewegung auf, verlangsamt ihre Geschwindigkeit aber radikal.

In einem Interview mit ihrer Mutter beschreibt Qadiri diese Arbeiten als Selbstporträts (2), in einem Kunstgespräch (3) als Selbstporträt ihrer Generation. Wie ist das zu verstehen? Diese Skulpturen, aus deren Serie auch welche in Venedig zu sehen waren, thematisieren die große Widersprüchlichkeit, die die Gesellschaft in Kuwait kennzeichnen. Der Reichtum auf der einen Seite, der auf der Erdölgewinnung basiert, auf der anderen Seite die katastrophalen Folgen des 2. Golfkriegs mit den brennenden Ölfeldern, die monatelang das Alltagsleben in Kuwait bestimmten. Qadiris Generation wurde in englischen und amerikanischen Schulen ausgebildet, war vom Glamour der westlichen Konsumkultur fasziniert und fand sich zugleich in einer islamisch geprägten sehr traditionellen und restriktiven Gesellschaft wieder.

Monira Al Qadiris zwei Jahre ältere Schwester, die Musikerin Fatima Al Qadiri hat gemeinsam mit der Schriftstellerin Sophia Al-Maria den Ausdruck „Golf-Futurismus“ erfunden, um wie sie sagen „ihre [eigene] subversive Ästhetik zu beschreiben, die die hypermoderne Infrastruktur, den globalisierten kulturellen Kitsch und die repressiven gesellschaftlichen Normen heranzieht, um sich kritisch mit einer dystopischen zukunftsorientierten Realität auseinanderzusetzen.“ (4) An anderer Stelle sagt Fatima Al Qadiri über den Golfkrieg: „Das surrealste Ding war der Zusammenbruch der Gesellschaft und der Moment, als sie die Ölquellen in Brand setzten und der Himmel sich schwarz färbte. Ich hatte das Gefühl, auf der Mondoberfläche zu sein.“ (5). Die Beschreibung des „Golf-Futurismus“ formuliert Phänomene, die auch für Moniras Weltanschauung, die ihren Arbeiten zugrunde liegt, maßgeblich sind. Sie selbst spricht an anderer Stelle von der „Dubai-fizierung“ (6): „Die Dubai-fizierung der Welt ist bereits Teil der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit; sie hat ihre ideologische Mission mit Lichtgeschwindigkeit erfüllt. Die Kopie ihres Modells ist überall zu sehen – das Modell eines vollwertigen Rentierstaats, der insofern einen Widerspruch verkörpert, als er eine kraftvolle progressive Bilderwelt und Dynamik entwirft, und zugleich an einem zutiefst unbeweglichen und konservativen Verständnis gesellschaftlicher und politischer Strukturen festhält.“ (7) Sie verweist so auf das Nebeneinander von extremem Konservatismus, einer Staatsform, die von westlichen Demokratien weit entfernt ist, – in der Menschenrechte (wenn überhaupt) nur für wenige gelten – und einer hypermodernen Ästhetik und Konsumkultur. Es handelt sich dabei um eine Gesellschaft, in der sich ähnlich wie bei uns, die ökonomischen Gegensätze zunehmend verschärfen.

Monira Al Qadiri, Gastromancer, 2023, produziert mit der Unterstützung von Rossogranada AG, Zürich, Ausstellungsansicht Mutant Passages, Kunsthaus Bregenz 2023
Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist, © Monira Al Qadiri, Kunsthaus Bregenz

Am Weg ins zweite Obergeschoß begegnen wir acht Bullaugenfenstern, durch die sich der Blick auf rostrot gestrichene Öltanker öffnet, eine Arbeit, die ins nächste Geschoß, das ebenso in Rostrot getaucht ist, führt. Zwei riesige Muscheln – auch hier wieder eine gigantische Vergrößerung – in der Raummitte scheinen miteinander zu sprechen (8), im Hintergrund Orgelmusik, die den starken Hall des Raumes neutralisiert. Die beiden Schnecken, denen man, geht man nahe heran, lauschen kann, sprechen darüber, wie sie am Boden des Ozeans liegend ihr Geschlecht wechseln. Hintergrund ist die Tatsache, dass die rostrote Farbe der Öltanker, die diese vom Muschelbefall schützen soll, bei weiblichen Muscheln eine Änderung des Geschlechts bewirkt, die letztendlich zum Aussterben der Art führt.

Monira Al Qadiri, Onus, 2023, Ausstellungsansicht Mutant Passages, Kunsthaus Bregenz 2023
Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist und König Galerie, © Monira Al Qadiri, Kunsthaus Bregenz

Im dritten Obergeschoß, ganz in Weiß gehalten, liegen schwarze Glasskulpturen – an der Ölpest verendete Vögel – auf dem glatten weißen Boden verstreut. Die Ölpest infolge des Anzündens der Ölfelder bewirkte, wie erläutert, ein nahezu apokalyptisches Szenario in Kuwait. Auch in dieser Arbeit findet sich die inhärente Ambivalenz der Skulpturen: Es sind zerbrechliche Glasskulpturen, deren Gestalt am Computer entsteht. Sie wirken fragil und sind zugleich viel schwerer als man vermutet, weil sie als volle Formen gegossen sind. Am Tag meines Ausstellungsbesuchs diffundierte die Sonne durch die Milchglasscheiben des Kunsthauses und ließ den Raum in weißem Licht hell erstrahlen, eine gruslig schöne Apokalypse.

Wenn Fatima Al Qadiri schreibt: „Ich denke, wir sind einfach eine extremere Version der Zukunft – eine wirklich gruselige Zukunft.“ (9), dann spricht sie etwas an, was auch Monira Al Qadiris Ausstellung Mutant Passages prägt, auch die scheinbar wunderschönen Installationen und Skulpturen durchzieht eine melancholische Grundstimmung, die sich im obersten Geschoß zu einem lichten und zugleich toten Feld verendeter Lebewesen steigert.

1.    Monira Al Qadiri Dives Deep Into Oil, In Conversation with Amin Alsaden, Berlin, 3 March 2021, in: Ocula https://ocula.com/magazine/conversations/monira-al-qadiri-dives-deep-into-oil/ (letzter Zugriff 11.05.2023)

2.    Sweet Talk, a Conversation with Thuraya Al-Baqsami and Monira Al Qadiri, https://new.bidoun.org/articles/sweet-talk (letzter Zugriff 16.05.2023)

3.    Artist Talk: Monira Al Qadiri im Blaffer Art Museum, Houston, Texas USA 2022, https://youtu.be/0lo6f5otxDE (letzter Zugriff 11.05.2023)

4.    Karen Orton, Fatima Al Qadiri, Sophia Al-Maria, Die Wüste des Unwirklichen, in: Armen Avanessian, Mahan Moalemi (Hg.), Ethnofuturismus, Leipzig 2018), S. 149 ff, Zitat S. 149 f.

5.    Ebenda S. 155.

6.    Der Begriff stammt von Nigel M. Graves, in: Alex Danilovich (Hg.), Iraqi Kurdistan in Middle Eastern Politics, Florenz 2016, S. 71 f.

7.    Monira Al Qadiri: Okto-Politik, in: Armen Avanessian, Mahan Moalemi (Hg.), Ethnofuturismus, Leipzig 2018, 169 ff., Zitat S. 171 f.

8.    Der Dialog beruht auf Thani Al-Suwaidi, The Diesel, Beirut 1994.

9.     Wie Anmerkung 4, S. 158.

 

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