Angelika Loderer

Soil Fictions

Ausstellungsansicht Angelika Loderer. Soil Fictions, Belvedere 21, Wien 2024
Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez © Bildrecht, Wien 2024

Belvedere 21 Wien, 06.03. bis 15.09.2024

Die jüngste Ausgabe von Texte zur Kunst, die der Skulptur gewidmet ist, beginnt mit der Feststellung, dass die Bezeichnung Installation zunehmend in den Hintergrund tritt, während der Begriff des Skulpturalen Konjunktur hat.(1) Wie aber verhält es sich mit Präsentationen von Objektgruppen, die der Skulptur verpflichtet sind, allerdings ebenso konstellative, wenn nicht installative Situationen ausbilden, wie das in Angelika Loderers Ausstellung Soil Fictions im Belvedere 21 der Fall ist?

Loderers Skulpturen sind Resultat von Forschungen im Tierreich, die Maulwurfgänge oder Grillenlöcher zutage bringen und zumeist unterirdisch erfolgen. Dass das Oben und Unten in ihrer Arbeit grundsätzlich Thema ist, zeigt die Künstlerin in der von Verena Gamper kuratierten Ausstellung auch mit der älteren Videoarbeit Parallel: Auf zwei übereinanderstehenden Monitoren wird im oberen ein Weg über, im unteren derselbe Weg unter der Erde zurückgelegt. Dazwischen liegt die fragile Haut der Erde, die viel Wissen verschließt. Das Gedächtnis hat Freud bekanntlich mit einer historisch gewachsenen Stadt verglichen, wo Vieles in den Schichtungen des Bodens verborgen ist. Ebenso sind es aber in Loderers Arbeit auch „oberirdische“ Phänomene wie Höhlen des Spechts oder andere Behausungen, die alle ein ähnliches Narrativ haben und von der Künstlerin quasi extrahiert werden. Giuseppe Penone, ein wichtiger Denker und Praktiker des Erdreichs, sprach in Bezug auf seine Höhlungen von „Ausschachtungen“, die er skulptural entfalten wollte, um „sie an ihre unerwarteten paradoxesten und reversivsten taktilen Grenzen zu treiben“.(2) Georges Didi-Huberman hat diesen Vorgang eine „taktile Lektüre“ genannt, die zugleich verständig wie blind ist.(3) Im erwähnten Heft von Texte zur Kunst ist ein Artikel der amerikanischen Künstlerin Mary Miss gewidmet, die Orte mit einer „starken und zugänglichen Erfahrung“ erschließen und „Grenzen vom Raum“ greifbar und (auch verrückbar) machen wollte.(4)

Ausstellungsansicht Angelika Loderer. Soil Fictions, Belvedere 21, Wien 2024
Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez © Bildrecht, Wien 2024

Bis die Berührung, der Abdruck, stattgefunden hat, ist die Form unsichtbar, die Loderer mit Metall, Wachs oder Gips herstellt und so die äußere Hülle gemeinsam mit ihrer Ausdehnung sichtbar und erfahrbar macht. Der Abdruck ist immer auch seine Umkehrung, wie er nun eine Interiorität erschließt und sie zu einem Körper macht. Das tierische Leben hat dann in der Skulptur ein Nachleben erfahren, was zunächst frei nach Warburg bedeutet, dass gegebene Formen anderswo wieder aufscheinen. In seiner Interpretation des Nachlebens sieht Didi-Huberman jedoch nicht nur das Tradieren einer Form, sondern schreibt eine Bild-Theorie fort, in der „das Aktive und das Werdende des Bildes im Vordergrund steht.“(5) Auch in den Werken Loderers ist diese Dynamik immer wieder zu bemerken und sei es nur an den Fußfragmenten, deren Gussspuren scheinbar zu Boden tropfen. Auf einem der Fotos in den Musikkassettenhüllen sieht man eine linke Hand, die, nach der Geste zu urteilen, wie ein Instrument zu einer Berührung bereit ist. Die Hand verkörpert das Außen der Handlung und könnte daran erinnern, dass das Aktive der Sensorik an der Oberfläche und nicht im Inneren zu suchen ist, wo das Reich der Tiere waltet.

Angelika Loderer, Moth Trap, 2024, Ausstellungsansicht Angelika Loderer. Soil Fictions, Belvedere 21, Wien 2024
Foto: Susanne Neuburger

In der Ausstellung allerdings darf keine Berührung stattfinden, wenn es gemäß den üblichen Bedingungen eines Museums „Berühren verboten“ heißt, mehr noch, wenn in Soil Fictions nur ein Herumgehen an den Seiten des Raums um die Zusammenstellung aller Objekte erlaubt ist, und das Taktile der Arbeiten zugunsten einer Betrachtung aus der Distanz in den Hintergrund tritt. Die Arbeiten sind nach Materialien und Themen in Reih und Glied geordnet und erinnern an einen Hortus Conclusus, der verschlossen ist und von einem wuchernden Wachsen erzählt, das im Tierreich stattgefunden hat. Dass wir diesen gedächtnisreichen „Garten" als Ganzes, als Bild lesen sollen, suggerieren auch die für die Besucher:innen bereitstehenden Tafeln, die auf einer Seite alle Objekte mit schablonenhaften Umzeichnungen zeigen, die mit Titel und weiteren Angaben zur Herkunft der Objekte bzw. zu Loderers Vorgangsweise versehen sind. Die künstlerische und kuratorische Absicht, die Objekte gleichwertig anzuordnen, verweist allerdings auf eine Interpretation, die Verena Gamper im Katalogtext zur Ausstellung mit dem Verweis auf Donna Haraway und das Chtuluzän beschreibt: Dieses zeigt im Gegensatz zum Anthropozän ein posthumanes Szenario, in dem ein gleichwertiges Zusammenleben ohne die Vorherrschaft des Menschen entworfen wird.(6)

Den geschlossenen Gesamteindruck unterstreicht zusätzlich die monotone Musterung des Bodens mit den Lichtreflexen der Deckenbeleuchtung, die zwar auf die Bedeutung eines Bodens ohne Sockel verweist, aber auch an die Ortlosigkeit von Skulpturen erinnert, wie sie Rosalind Krauss vor mehr als 40 Jahren konstatierte. Krauss war von einer Erweiterung des Mediums ausgegangen, was in der Folge viele weitere Diskurse nach sich gezogen hat. An deren Fortsetzung wirkt auch Loderer aktiv mit, ist doch in ihren Arbeiten die Memorialfunktion, deren Fehlen Krauss beklagte, manifest vorhanden. Wenn etwa skulpturale Werke von Simone Fattal von einer „mnemonischen Kraft“(7) sprechen, hat Loderer diese explizit und ortspezifisch enthalten und kann so medienspezifische Aspekte mit Ortsspezifizität kurzschließen. Als Denkfigur ist auch das Nachleben einbezogen.

Ausstellungsansicht Angelika Loderer. Soil Fictions, Belvedere 21, Wien 2024
Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez © Bildrecht, Wien 2024

Auch wenn im Ausstellungstext von der Ästhetik einer Grabungsstätte die Rede ist, gewinnt man den Eindruck eines Kraftfeldes, dessen Darstellungsmodus mit all seinen theoretischen und historischen Implikationen als Konstellation verstanden werden könnte. Der Konstellation als kuratorisches Konzept fehlt das argumentative Nacheinander, wenn sie einzelne und mitunter disparate Elemente aufnimmt und Vorstellungen von Bedeutung zugunsten einer Dynamik von Verhältnissen hinter sich lässt. Das relationale Gefüge kann situativ, installativ und raumbezogen sein, wenn für deren Teile gilt: „Sie sind, was sie sind, in der Konstellation.“(8) Loderers ausgeprägte Formationen in all ihrer visuellen Vielfalt und mit all ihrem indexalischen Reichtum können sich darin gut behaupten.

 

(1) Antonia Kölbl, Christian Liclair und Anna Sinofzik, Vorwort, in: Texte zur Kunst, Juni 2024, 34. Jahrgang, Heft 134, S. 6-7.

(2) Zit. nach Georges Didi-Huberman, Schädel sein. Ort, Kontakt, Denken, Skulptur, Zürich 2008, S. 57.

(3) Ebenda, S. 67.

(4) Vgl. Christopher Weikemeier, Zugänge zur Skulptur. Über Mary Miss und unzugänglichem Raum, in: Texte zur Kunst (Anm. 1), S. 83-97, Zitate S. 83.

(5) ZIt. nach Michael Wetzel, Das Werdende des Bildes, in: https://www.deutschlandfunk.de/das-werdende-des-bildes-100.html (20.6.2024)

(6) Verena Gamper, On Common Ground, in Common Soil, in: Stella Rollig, Verena Gamper (Hrsg.), Angelika Loderer. Soil Fictions, Wien 2024, S. 14-30, hier S. 24.

(7) Vgl. Simon Baier, A Carriere Bag Theory of Sculpture, in Texte zur Kunst (Anm. 1), S. 99-115, Zitat S. 101.

(8) Zur Konstellation vgl. das entsprechende Kapitel in: Beatrice von Bismarck, Das Kuratorische, Leipzig 2021, S. 99-184, Zitat S. 103.

 

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